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Das Gefecht in der Dänemarkstraße

„Die Schwerter wir schwangen
o Wonne dem Wiking-“
Edda, Biarkamal

Ein seltsam fremder, tagheller Abend im Nordmeer, der nach dem Nebel, der Nässe und Kälte des vergangenen Tages, nach dem Eistreiben und der stets wechselnden Unsichtigkeit geradezu beruhigend wirkt. Klar und rein ist die Kimm, nur nach Backbord, nach Island zu, steht eine graugelbe, schmierige Dunstwand über der dunkelgrauen ruhigen See.

Wir sitzen in der abgeblendeten Messe beim Abendessen. Das Gespräch dreht sich um diese Fahrt, um das Durchkommen durch die 140 Seemeilen breite Dänemarkstraße, das der Erste Offizier [Fregattenkapitän Otto Stooß] am Nachmittag noch der Besatzung beim Bordnachrichtendienst durch den Lautsprecher verkündet hatte. Zwar haben wir außer einem blinden Alarm den ganzen Tag über nichts gehabt, nichts gesichtet, keine Rauchfahne, keine Matspitze, nichts. Auch die englischen Flieger sind ausgeblieben. Sollten wir wirklich unbemerkt durchgekommen sein? Gewiß, die engste Stelle haben wir bereits passiert, immerhin –

Ich beuge mich vor und sehe den I.O. an, der mir schräg gegenüber sitzt und eben – selbst Nichtraucher – mit gespreizten Fingern das Signal für die Raucher „Jot Dora“-Feuereröffnen gegeben hat:

„Herr Kapitän, go ganz wohl war mir nicht, als Herr Kapitän so vergnügt verkündeten, wir seien nun durch!“

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Der Fregattenkapitän lacht:

„Warum nicht, mein Kapitän?“

Ich stecke meine Zigarette in die lange Spitze und zucke die Achseln:

„Na, ich weiß nicht so recht, ich habe mal vor langen Jahren an den Rundfunk geschrieben, als ein Ansager beim Nürburgrennen, als die Lage zwar auch durchaus klar war, in der letzten Runde unserem Rosemeyer den Sieg zusprach, ehe er das Ziel passiert hatte. Jede Reifenpanne hätte ihn noch im letzten Augenblick aus der Bahn schleudern können, man soll so etwas lieber nicht berufen -“

„Erlauben Sie mal,“ ganz entrüstet sieht mich der I.O. an, „sind Sie etwa abergläubisch?“

Ich überlege gerade, was man auf eine solche Frage antworten kann, als markerschütternd gell und nervenzerreißend die Alarmklingeln schrillen. „Also doch!“ rufe ich noch, während wir, die Stühle halb umreißend, hochstürzen und aus der Messe eilen.

An diese Klingeln kann man sich nicht gewöhnen. Ihr Ton, von dem der an meiner Seite sitzende nette Leitende Ingenieur [Korvettekapitän (Ing.) Graser] einmal behauptete, er sei melodisch abgestimmt, reißt einen besinnungslos hoch, wenn man angezogen, immer dieses Signals gewärtig, auf der unbezogenen Koje im Halbschlaf der Erwartung in der abgeblendeten und dunklen Kammer liegt, wenn man eben den letzten Bissen beim Mittagessen in den Mund schiebt oder plaudernd bei den Mannschaften der Kriegswache an den stets gefechtsklaren Flageschützen steht.

Ein Gefecht, ein Schießen auf die großen Sunderlandflugboote, die Catalinas, wie die Engländer diese amerikanischen

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dort Consolidated genannten Flugzeugtypen umtauften, auf die riesigen Lockheads [sic. Lockheeds], die uns während der Fahrt in der Ferne auftauchend immer wieder neugierig mustern, um nach den ersten Gruppen unserer Flak schnell wieder zu verschwinden, ist nichts gegen diese atemraubende Spannung, die der Alarm in allen Decks aufflammen läßt.

Was ist es? Flieger? Hilfskreuzer? Kriegsschiffe?

Während die Offiziere ihre grünen Schwimmwestenbeutel, Bordmützen und Doppelgläser von den Haken vor der achtern liegenden Offiziersmesse reißen, rase ich in meine nahe liegende Kammer, schnappe Schwimmweste, Glas und Mütze und stolpere hastig den halbdunklen, mit blaßblauen Lampen nur notdürftig erleuchteten Gang, von dem die sonst dort liegenden und schlafenden Männer der Kriegsfreiwache längst verschwunden sind, den Niedergang hoch an Oberdeck.

Auf dem Wege zu seiner Gefechtsstation stößt der Artillerieoffizier [Korvettenkapitän Paulus Jasper], einen Befehlsübermittler der Leichten Flak an:

„Was ist denn nun wieder los, wie?“

„O, Herr Kapitän: ein großer Dampfer, ein Geleitzug, neun Dampfer!“

Typisch, diese Übertreibung in der Erregung des ersten Augenblicks! „Unsinn!“ meint seelenruhig der Korvettenkapitän, schiebt heraneilende Bedienungsmannschaften der vorderen Türme beiseite und betritt die Brücke. Hinter der dicken schwarzen Lederhose und Lederjacke des A.O. klettere ich hoch und nehme schnell einen Rundblick, sperre Augen und Ohren auf

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und suche mit dem Doppelglas nach Backbord, wohin alle Gläser auf der Brücke jetzt gerichtet sind.

Nichts, nur eine graugelbe, schmierige Dunstwand.

„Mit gewöhnlichen Doppelgläsern ist nichts zu sehen,“ meint der T.O., als er mich suchen sieht.

Da alle eingebauten Brückengläser besetzt sind, nehme ich das Glas von den Augen und höre auf die Meldungen, die vom Vormars kommen:

„124 Hundert!“ – Richtung und Entfernung werden gegeben, das Schiff, das unsere Entfernungsmeßgeräte ausmachten und das irgendwo drüben in der aus Nebel, Regen und Dunst gemischten Wand steckt, bleibt für das unbewaffnete Auge unsichtbar.

„War ein Schiff mit drei Schornsteinen,“ erklärt einer von der Wache, „ich hab’s genau ausmachen können, als er ein bißchen Kurs ändere. Schornsteine etwas geneigt.“

„Mit drei Schornsteinen? Vielleicht ein Hilfskreuzer? Die ‚Empreß of Australia’, die den King damals nach Canada brachte, könnte das sein. Im Weltkrieg hatten die Engländer diese großen Dampfer hier als Hilfskreuzer, sind ja schnell und können ziemlich anständige Geschütze tragen.“

Alle suchen in der Richtung, die der Vormars angab. Auch der Kommandant [Kapitän zur See Helmuth Brinkmann], steht an einem der Brückengläser und blickt hinüber. Groß, breit, wuchtig steht er, eingehüllt in den blauschwarzen Gefechtzanzug, der so schön warm hält und so praktisch ist, hinter dem schweren Glas auf der Holzgräting, Schal um den Hals, die Bordmütze mit den goldenen Streifen und dem Hoheitsabzeichen sitzt schief auf dem Kopf, die Zigarre

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qualmt zwischen den Fingern der herabhängenden, schwer behandschuhten Linken:

„Wird Schweren Kreuzer sein, ‚London’-oder ‚Norfolk’-Klasse.“ – Er schweigt, niemand redet.

Nichts zeigt sich mehr da drüben in diesem diesigen Streifen. Gleichtönig rauscht das Wasser an der Bordwand längs, wirbelnd schäumt vor uns das breite Kielwasser der „Bismarck“.

Eisschollen treiben vorüber. Weiß sind sie, schneeweiß, graugrün dort, wo die See an ihren Kanten brandet. Ich steige schnell wieder hinab, hole Photo- und Filmapparat aus der Kammer, bleibe auf dem Laufgang zwischen den Schweren Doppelflak stehen und filme ein wenig. Eisschollen! Nun, die sieht man nicht alle Tage, vielleicht treffen wir bald Eisberge. Wer kann das wissen, in dieser seltsamen, weltfernen Gegend, durch die wir, immer im Kielwasser der „Bismarck“, unseres großen Brudes, steuern. Eine besonders große Scholle treibt vorüber, schnell den Film- mit dem Photoapparat vertauscht: wie schnell diese Scholle vorbeitreibt, da – natürlich! In der Eile sind zwei Blätter aus dem Filmpack gezogen. Also runter in den Schloßhof, wo der PK-Filmberichter in seiner von Koffern und Filmapparaturen fast völlig verstopften Kammer seinerseits den großen Filmapparat für alle Fälle klar macht. Der Sonderführer ist einer von denen, deren Bilder man oft in allen Illustrierten Zeitungen sieht:

„Würdern Sie so nett sein, mir das mal schnell zu klarieren? Ich habe keine Ahnung von dem Kram und für Sie ist das doch sicher eine Kleinigkeit!“

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Der PK-Mann läßt seinen Apparat stehn und turnt hilfsbereit über Koffer und Kästen herbei:

„Gerne, Herr Kapitän, ist in zwei Minuten fertig, soll ich’s an Deck bringen?“

„Bitte schön, ich stehe an Steuerbord zwischen den achteren Schweren Flak, und vielen Dank auch!“

Der Schaden wird schnell behoben – aber aus der Aufnahme ist doch nichts geworden, wie ich später zu Hause feststellte! Da die Kriegsfreiwache noch auf Stationen bleibt, steige ich wieder, fest überzeugt, daß trotzdem nichts mehr kommen wird, zur Brücke.

Plötzlich ein Ruf:

„‚Bismarck’ feuert!“

Wir fahren herum: gleichzeitig mit dem Niedergehen des Signals Jot Dora, das blitzschnell an einer der Steuerbordsignalleinen des Schlachtschiffs eingeholt wird, wallt aus den Backbord geschwenkten Türmen der „Bismarck“ riesiger braungelber Qualm. Feuerblitze, gelb und rot brechen aus den Mündungen der schweren 38er-Rohre, tiefgrollender Donner hallt herüber.

Wie der Blitz eilen der A.O. und ich zum Turmmast, reißen die schweren vorreiber der Schottür herum, knallend schlägt sie gegen die Turmwand, während wir die steilen Stufen hinaufstürzen zum Vormarsstand. Vor mir klettert der Artillerieoffizier, schwingt sich nach den letzten Steigeisen über das Süll und eilt in den Stand an seinen Zielgeber. Vor der ringsum laufenden Vormarsgalerie, dem Standort der Flaeinsatzleiter sieht man tief unten voraus die mächtigen Formen der „Bismarck“, die schnurgerade ihren Kurs steuert. Wieder flammt es

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dunkelrot und gelb, wieder wallt hellbrauner Rauch, bei dem achterlichen Wind am Heck klebend, aus den Rohrmündungen. Zwei, drei Salven – dann schweigt das große Schiff. Es ist, als ob ein Löwe mit mächtigen Pranken Ruhe heischend durch die Luft gefahren hätte, brüllend Respekt fordernd von einem dunklen, für das Auge unbestimmbaren Etwas, das nun, auch ohne Gerät für uns als verschwommener Fleck im fernen Dunst sichtbar, tatsächlich drüben an Backbord in unbestimmbaren Konturen herumgeistert und schnell achteraus sackt.

Der Unteroffizier vom Backbord-Entfernungsmeßgerät dreht sich auf seinem Sattelsitz:

„Schwerer Kreuzer mit drei Schornsteinen, ‚London’- oder ‚Norfolk’-Klasse.“

Der A.O. hat seinen Zielgeber wieder verlassen und beobachtet den Engländer, der nun an Backbord achteraus steht und dessen Konturen immer undeutlicher und kleiner werden:

„Na, nun sind wir entdeckt! Sehen Sie mal, der geht sicher in unser Kielwasser und funkt unseren Standort. Darauf kömmen wir Gift nehmen.“

Schön ist es nicht, daß ausgerechnet hier in der Dänemarkstraße ein Fühlingshalter hinter unserer Kampfgruppe klebt. Später erfahren wir, daß es der Schwere Kreuzer „Norfolk“ war, der uns bei einer der hier oben so häufigen vorübergehenden Besserung der Sichtverhältnisse entdeckte und sofort meldete. Gerade die Sicht ist eine der vielen Ungewißheiten des Seekrieges: bisher für uns äußerst günstig, beim Regen bis auf zweihundert Meter zeitweise heruntergehend, war

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die Unsichtigkeit unser bester Schutz geblieben, bis plötzlich gegen Abend das Wetter aufklarte und der in der östlichen Dänemarkstraße auf der Lauer liegende Schwere Kreuzer uns in Sicht bekam.

Jetzt holt der Schwere Kreuzer herum – genau ist es hier oben beim Flimmern der Schornsteingasse, die der achterliche Wind nach vorne treibt, nicht auszumachen – aber bald kommt eine Meldung von achtern:

„Gegner setzt sich Steuerbord achteraus! Gegner feuert!“

Der Artillerieoffizier schüttelt den Kopf:

„Irrtum! Das ist sein Schornsteinrauch, auf die Entfernung kann der gar nicht feuern.“

Nun hängt er uns hinten dran. Nun gehen wohl schon die aufgeregten Funksprüche nach Westminster zur Admiralität, nun nimmt Mr. Churchill die dicke Zigarre aus dem breiten Mund und alarmiert seine Seestreitkräfte. Na, wir werden ja sehen. Bislang ist es nur einer, und bis die andern heran sind, die vielleicht in Scapa Flow oder sonstwo stehen, kann lange Zeit vergehen.

Jetzt, wo alles wieder ruhig geworden ist, bleibt Zeit, die Gegend einmal genauer zu beschauen, diese von tagheller Nacht - beim Insichtkommen der „Norfolk“ war es nach deutscher Zeit 20 Uhr 15 – von der im Dunst unsichtbar bleibenden Mitternachtssonne erhellte Gegend zwischen Island und Grönland. Drüben an Steuerbord, hoch über dem von hier oben mit den Zielgeräten wunderbar deutlich zuszumachenden Packeis, das als flaches, meilenweit sich streckendes Feld mit dunkelblauen Rinnen unter dem am blassen Himmel

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hellblau leuchtenden Eisblink zu erkennen ist, ragen, wolkenähnlich und doch starr, schweigend und todesfern hohe, schneebedeckte Berge. Die Berge Grönlands, die irgendeine Luftspiegelung trotz der großen Entfernung heranzaubert. 3000 Meter und mehr sind sie hoch, wie die Seekarte verzeichnet, die man schnell einsah auf der vorigen Wache. Wir sind noch sehr weit ab vom grönländischen Festland, aber die Berge sind trotzdem zu sehen, mächtig, sanft geschwungen, Schnee und Eis auf ihren Gipfeln, eine Alpenlandschaft im hohen Norden. Grönland: Nansen fällt einem ein, Nansen und die „Fram“, die beiden Bände, die man als Junge so gerne las, dies tapfere, kleine, harte Schiff, dessen Risse man abzeichnete aus lauter Begeisterung für den Forscher, für Sverdrup und all die nordischen Männer auf der festen, treuen „Fram“. Wegener, die österreichischen Forscher, Peary und der Flug unseres Gronau, der über die Shetland, Faröer, über Island und genau diese Stelle der Dänemarkstraße, die wir heute kreuzten, nach Grönland und Nordamerike als Pionier de Luftfahrt flog. Und dann die Wikinger, die früh schon diesen schweigenden Erdteil zu erforschen trachteten, die unter Erik dem Roten, dem Totschläger, von Island kommend, 982 dieses Land da drüben ansegelten und besiedelten, die es Grönland nannten, weil sie zufällig zur kurzen Sommerzeit den Strand erreichten, de tausendfältige Blumen trug und fettes Weidegrass - -

Schnell noch einmal zum englischen Kreuzer gesehen: der ist nun, frei für unsere Gläser, von den flimmernden Schornsteingasen sogar mit bloßem Auge deutlich

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als dunkler Fleck zu erkennen, der jetzt langsam weit hinter uns von Backbord herüberholt und sich dann, starr und stetig ins Kielwasser setzt.

Zornig setzt der A.O. das schwere Doppelglas von den Augen:

„Dieser Heini!“ meint er, seinen Lieblingsausdruck gebrauchend.

Ein Telephon schrillt. Gehorsam dem vom Rollenoffizier oft wiederholten Grundsatz: ein klingelndes Telephon muß in spätestens drei Sekunden abgehoben sein, stürzt ein B. Ü. heran, hebt den Hörer ab, wiederholt und meldet dem A.O. einen Spruch des Kommandanten, den er selbst seiner Artillerie weitergibt:

„Wir sind durch die Enge!“

Jawohl, durch sind wir nun.

Ob wir weiterhin unbehelligt bleiben, ob wir diesen Fühlungshalter abschütteln wollen, ob andere auf uns lauern, uns den Web versperren wollen – niemand weiß es hier oben. Wir haben auch das sichere Gefühl, daß es uns fast gleichgültig sein kann, ob hinten ein Fühlungshalter die Gruppe bewacht und laufend meldet, wir sind stark genug, jeden Gegner abzuschütteln, der uns aufhalten will, jeden. Die 38er der „Bismarck“ und unsere 20,3-cm-Geschütze werden jeden niederringen, der uns aufzuhalten wagt. Das ist eisern im Unterbewußtsein als selbstverständlicher Grundsatz, das war schon von Beginn unserer Fahrt an so und wird bleiben, solange der große Bruder bei uns ist. Niemand an Bord hat je an unserer Überlegenheit jeder englischen Kampfgruppe gegenüber gezweifelt. Sollen sie nur kommen.

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Die Scapa Flow-Streitkräfte sind weit – wenn sie nicht bereits unterwegs waren -, sonst wird hier oben wohl keiner stehen außer vielleicht Hilfskreuzern und Bewachern. Oder haben sie uns erwartet? Stehen ihre Schweren Streitkräfte klar zum Angriff? Hat man uns schon vorher, auf dem langen Anmarsch zum Nordmeer, gemeldet?

„Signal von ‚Bismarck’: Nummernwechsel!“

Jeder von uns auf der Vormarsgalerie denkt das gleiche, dem der blonde Einsatzleiter der Leichten Flak, Admiralssohn, wie mancher Offizier an Bord, Ausdruck gibt, nachdem er die kurze Pfeife aus dem Mund nahm: „Aha, der große Bruder will uns decken!“

Der Oberleutnant lächelt uns mit blaugrauen Augen aus einem von Sonne und Salzwind lederbraun gebeizten Gesicht an. Wir gehen mit der Fahrt herunter, als „Bismarck“ nun das Manöver ausführt und bald in unserem Kielwasser steuernd den Schutz nach achtern zu übernommen hat. Noch steht der englische Schwere Kreuzer mit Masten und leicht schräg geneigten Schornsteinen eben über der wieder klarer gewordenen Kimm. Backbord voraus droht eine blaugrau und leicht gelblich gefärbte Wand: Regen, Schnee, irgend etwas braut sich da zusammen, während an Steuerbord der lichtblaue starke Eisblink über der weiten Packeisfläche wie ein zarter duftiger Schleier schwebt.

Der englische Fühlungshalter macht uns keine Sorgen mehr.

Wir von der Steuerbordkriegswache gehen hinunter, einen kurzen Augenblick treten der Artillerieoffizier und

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ein Oberleutnant z. S. in meine große Kammer, die uns nach der Kälte oben an Deck und dem im Vormars doppelt fühlbaren Fahrtwind besonders anheimelnd warm vorkommt.

Streichhölzer flammen auf, Zigarettenrauch zieht zur Decke, unter der die Lüftung zus den beiden Ventilatoren zischt:

„Na, nun haben wir sie hinter uns. Bin bloß neugierig, wen sie wohl alles herbeirufen werden,“ meint der A.O. und wirft aufatmend seinen Schwimmwestenbeutel auf den kleinen viereckigen Tisch.

Es ist warm in der Kammer, die Lüfter sausen und das gleichmäßige Geräusch der Schrauben ist deutlich zu vernehmen. Kurz lacht der Artillerieoffizier auf:

„Die Engländer! Hätte damals nie gedacht, daß wir mit denen aneinandergeraten würden, als wir zusammen vor Spanien lagen. Bin oft auf den englischen Schiffen gewesen. Waren vergnügte Burschen, die Jungs, haben zusammen die netten Shanties und Capstans gesungen, und nun -“

Er zieht nachdenklich an seiner Zigarette und schüttelt den Kopf:

„Die Männer auf den englischen Schiffen tun ihre Pflicht wie wir. Was ich aber nicht begreifen kann, das sind diese unerhörten Dinge, die sich nun schon so oft ereignet haben. Ich meine diese Verbrechen an unseren Matrosen von Narvik, an Wehrlosen, Schiffbrüchigen und so weiter. Die englische Geschichte ist voll von derartigen Scheußlichkeiten. Wie ist so etwas möglich und wie können die englischen Seeoffiziere das zulassen? Versteht ihr das? Ich nicht.“

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Der Oberleutnant rückt sich in der Sofaecke zurecht:

„Das sind schwierige Fragen. Vielleicht hängt es mit der uns so unverständlichen Einstellung des Engländers zur Religion, das heißt zum alttestamentarischen Glauben, mit diesem für unsere Begriffe jüdischen Rachegeist, mit seinem Wahn, das von Gott erwählte Volk zu sein und nun die blutige Rache an uns, den Feinden, ausüben zu müssen, zusammen. Mit dem, was man religiöse Heuchelei oder Cant nennt. Wir sind doch alle für ihn ‚poor strangers’, minderwertige Menschen. Ich erinnere an den echt englischen Ausspruch: ‚hinter Calais beginnt der Neger.’ Der Normalengländer dünkt sich turmhoch erhaben über jeden Menschen anderer Nation und Rasse. Man kann uns also abschießen wie tolle Hunde und tut dann sogar noch ein gottwohlgefälliges Werk. Da tritt alles Menschliche leicht zurück. Die ungeheure Verhetzung durch die Regierung, die Zeitungen und einen großen Teil der in England allmächtigen Kirchenfürsten kommt hinzu und stellt geradezu einen Freibrief für solche Ungeheuerlichkeiten aus. Ausßerdem fühlen die Täter sich sicher: kein Mensch in England denkt an eine Bestrafung durch die Behörden – im Gegenteil, jedermann weiß, daß so etwas stillschweigend geduldet, wenn nicht sogar gefördert wird.“

Einen Augenblick herrscht Stille in der Kammer, was hier angerührt wurde, gehört zu den Problemen, die dieser Krieg uns aufdrängt, über die wir alle nachdenken und die wir alle nicht bis ins Letzte lösen können.

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„Was Sie sagen, Albrecht, ist gewiß richtig. Man könnte stundenlang darüber reden, vor allem diejenigen von uns, die den Engländer kennen und ihn drüben auf seiner Insel unter seinen eigenen Leuten erlebten. Um den englischen Charakter richtig, oder wenigstens einigermaßen richtig, beurteilen zu können, muß man die englische Geschichte, und zwar vor allem die Frühgeschichte von der Römerzeit bis zum Normanneneinfall, 300-1066, studiert haben. Alles, was danach geschah, ist unwesentlich für die Beurteilung des Engländers, da nach dieser Zeit keinerlei fremde Blutmischung mehr stattfand. Und der Engländer, das heißt das englische Volk, die breite Masse, ist angelsächsisch mit leicht keltischem und – was meist nicht beachtet wird – immerhin auch etwas römischem Einschlag. Die regierende Schicht ist normannisch, daher auch die tiefe Kluft zwischen der regierenden Herrenschicht und dem angelsächsisch gebliebenen, uns blutmäßig viel näherstehenden Volk.“

Der A.O. sieht mich erstaunt an und nimmt seinen Schal ab: „Wieso uns?“

„Jawohl, uns! Weil nämlich die Angeln und Sachsen nicht die einzigen waren, von denen die Insel überschwemmt wurde. Friesen sind in sehr großer Zahl vor den Wikingern hinübergefahren, teils von sich aus, teils gerufen. Alfred der Große ließ von Friesen seine Flotte bauen, die friesische Kommandanten und Admirale befehligten. Die Engländer waren damals höchstens müde Heringsfischer, aber keine Schiffbauer im Sinne unserer Küstenbewohner. Germanische Seefahrer bildeten also den Grundstock der Bevölkerung. Die

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Wikinger, die später kamen, Dänen und Norweger, konnten dann die zu seßhaften Bauern gewordenen Angelsachsen leicht überwältigen. Blutmäßig haben sie dem englischen Volk wohl nicht allzuviel beigesteuert, obgleich ihr Abenteuersinn, ihre Fernsehnsucht und ihre Liebe zur See sicherlich auch dem fast verschüttet gewesenen Drang der Angelsachsen zum Meer wieder zu neuem Leben verhalf. Den französisierten und katholizisierten Normannen gelang es dann, die Herrschaft an sich zu reißen, die bis zum heutigen Tage in den Händen der normannischen Oberschicht geblieben ist. Lassen Sie sich einmal die Stammbäume der englischen Oberschicht zeigen: die gehen fast sämtlich bis zur Zeit des Normannenherzogs Wilhem zurück und weisen alle in die Normandie, wo heute noch die alten Stammsitze und Dörfer altenglischer Herrenhäuser zu finden sind. Daher auch die uns unverständliche Liebe vieler Angehöriger der Herrenschicht zu Frankreich. Man könnte dies alles mit vielen Beispielen belegen, aber“

Der A.O. unterbricht:

„Vielleicht haben Sie recht. Es gibt ebensogut Dinge, die einen beim Engländer anziehen, wie solche, die einen abstoßen. Das kommt wohl von dieser Mischung, sollte ich meinen.“

„Natürlich. Das, was uns anzieht, ist echtes Erbe germanischen Blutes. Nehmen Sie unseren Niedersachsen: er haust am liebsten alleine in seinem eichenumstandenen Hof. Er ist, wie der Engländer sagt, ‚a lonely dog’, schließt sich ab, ist scheu, tapfer, zäh und eigenbrötlerisch. Der Engländer hat ein ganz unweltbürgerliches,

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eigensüchtiges und unduldsame Nationalgefühl, Freiheit des einzelnen ist sein Tollpunkt. Fürsich-wohnen, Abgeschlossenheit von allen anderen, Verachtung der breiten Menge, weitgehende Überschätzung des einzelnen zeichnen ihn aus. Warum wohnt der Engländer in seiner wunderbaren Hügellandschaft von Surrey, Kent oder Sussex zum Beispiel in diesen völlig einzeln gelegenen Schlössern, Landsitzen und Cottages?“1)

„Schön und gut,“ wirft der Oberleutnant ein, „aber wie erklären Sie diese brutalen Grausamkeiten, die der A.O. vorhin erwähnte?“

„Zu erklären sind die nicht. Aber ich glaube, sie beruhen zum Teil auf einem Umstand, der vielen von uns unbekannt ist. Passen Sie auf: wir führen unser Leben in freiwilliger Unterordung unter die Gesetze, eine Tatsache, die der Engländer als Zwang ansieht und heftigst für sich ablehnt. Der Engländer – ich spreche hier natürlich cum grano salis! – lebt unter einem dauernden, für unsere Begriffe entsetzlichen Zwang, nämlich dem Zwang der öffentlichen Meinung. Die wird in England von dem – meist in jüdischen Händen befindlichen – großen Zeitungen gebildet und beruht auf sozusagen jahrhundertealter Tradition. Wer sich irgendwie gegen diese ungeschriebenen gesellschaftlichen Gesetze vergeht, kommt sofort auf die Front Page, die Titelseite der großen Zeitungen. Ob es sich um einen Eheskandal, eine Erpressung, einen Mord, einen Gesellschaftsskandal handelt: stets bringt die Tagespresse jedes Abirren vom streng vorgeschriebenen Weg der Gesellschaftsmoral mit großen Photos in spaltenlangen Artikeln und der


1) Es ist hier interessant zu bemerken, daß K.K. a.D. Busch mit einer Engländerin verheiratet war und nach dem Krieg in „The Bower Cottage, Pebble Hill, Limpsfield, Surrey, in England“ lebte. UR.

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Betreffende sind für die Gesellschaft erledigt, und das heißt in England bürgerlich tot. Das gilt nicht nur für die Herrenschicht, das gilt für den Mittelstand ganz genau so.“

Der A.O. knöpft sein Jackett auf:

„Das hat aber doch nichts mit den Schweinereien zu tun, die von den ‚Cossack’-Matrosen und anderen an unseren Seeleuten begangen wurden, ich -“

„Geduld, mein Lieber, das will ich ja gerade jetzt erklären! Also: der englische Soldat genießt, jedenfalls im Frieden, keinerlei besondere Achtung beim englischen Publikum. Der Soldatenberuf ist wohl der unangesehenste in England, das gilt für den Offizier so gut wie den Mann. Mir ist drüben mehr als einmal gesagt worden: ‚Wir verstehen eure Einstellung nicht. Der Arzt, der Wunden heilt, der Jurist, der das Recht verteidigt, ist uns lieber als der Soldat, der tötet.’ Unsere Auffassung vom Soldatenberuf liegt diesen Krämerseelen meilenfern! Der Engländer, der die Uniform anzieht, die er bekanntlich so oft und schnell wie irgend möglich mit dem Zivil vertauscht, steht gewissermaßen außerhalb der Gesellschaft. Der ganze unsichtbare Zwang, der Druck der öffentlichen Meinung, unter dem er von Jugend auf lebt und leidet, fällt fort. Keiner englischen Zeitung würde in normalen Zeiten einfallen, irgendwelche Verfehlungen von Soldaten zu veröffentlichen, mag es sich um Offiziere oder ‚ratings’ handeln. Als Soldat läßt sich der Engländer zu Dingen hinreißen, die er sonst nicht begehen würde. Der Lack fällt ab, das Brutale, das der Angelsachse hat, kommt hemmungslos zum Durchbruch. Denken Sie an die unerhörten Diebstähle, die englische

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Offiziere in Belgien und Frankreich begingen, an die mit Diebesgut, Wertsache, Damenwäsche, Gebrauchsgegenständen und gestohlenem Kram gefüllten Beiwagen englischer Kradschützen, an die Waggons voll Waren, die aus Plünderungen stammten, die englisches Militär aller Rangklassen in Löwen und anderen Orten auf das schamloseste vollführten. Und nicht zuletzt an die Beschießung der ‚Altmark’-Matrosen, der Männer unserer Narvikzerstörer, die hilflos im kalten Fjordwasser trieben und von den englischen Zerstörermännern, deren Kameraden die gleichen deutschen Seeleute drei Tage vorher gerettet hatten, sinnlos gemordet wurden. Denken Sie an die Boote voller Frauen und Kinder, die bei Kapstadt von britischen Fliegern rücksichtslos beschossen wurden, um nur ein paar dieser Fälle aufzuführen. Nein, zu verstehen ist das nicht, zu erklären auch nicht, es gehört eben zu den Dingen, von denen der A.O. vorhin sprach. Die kalte Wut steigt einem hoch, wenn man nur daran denkt. Dies Volk ist durch die Schuld seiner Führung von Grund auf verdorben worden und reif zum Untergang. Das mag pathetisch klingen, aber es ist so. Weiß Goot.“

„Was Sie sagen,“ meint der Oberleutnant, „leuchtet mir ein. Dann steht natürlich auch die Auffassung des englischen Offiziers unserer Ansicht diametral gegenüber. Für uns ist es doch so, daß die Ehrauffassung des Offiziers im gesamten Offizierkorps eine einheitliche und hohe ist, die alle Glieder so verbindet, daß sie niemals Ausdruck einer vollwertigen Ehre im Gegensatz zu einer minderen Ehre anderer Berufsstände wird. Offizier und Ehrenmann ist ein einziger Begriff, der höchs

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Verpflichtung bedeutet. Und der Stolz auf unseren Beruf ist der Stolz auf einen ehrenhaften Dienst in einem Beruf, der Höchstes von uns fordert. Wir handeln nach dem inneren Gesetz, nicht um des gemeinen Nutzens willen. Der Führer, der uns die fanatische Hingabe an eine Sache und den unerschütterlichen Glauben lehrte und vorlebt, der das Unmögliche möglich macht, ist uns Vorbild echten Soldaten- und Führertums. Das alles wird ein Engländer nie begreifen.“

„Nein, gewiß nicht. Er begreift ja auch einen Punkt nicht, der bei uns eine so überaus wichtige Rolle spielt: die spartanische Einfachheit der ganzen Lebenshaltung des Offiziers, die unbedingte Abkehr vom Materialismus, dem Todfeind des Opfergedankens. Der Engländer ist Materialist reinsten Wassers und fordert mit einer geradezu naiven Beharrlichkeit alle Güter der Welt ausschließlich für sich. Er tut das mit der puritanischen Begründung, die Engländer seien das auserwählte Volk Gottes, wie ich vorhin schon sagte, und ihnen stünde infolgedessen, als den Sachwaltern des Himmels auf Erden, alles zu.“

Der Oberleutnant greift zu Mütze und Handschuhen und sieht auf die Armbanduhr:

„Meine Herren! Hier sitzen wir und unterhalten uns über die Engländer. Ich glaube, wir steigen in die Koje, sonst reden wir bis Mitternacht durch!“

Der A.O. drückt die Zigarette im Aschbecher aus und erhebt sich ein wenig schwerfällig.

„Heil Kameraden!“ Viel Zeit zum Schlafen haben wir nicht mehr. Auf Wiedersehn bei der Mittelwache!“

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Man dreht das Licht aus, rückt sich das Kissen, das einzig Weiche auf der lederbezogenen Koje, zurecht, hört noch einen Augenblick auf den Tritt von Seestiefeln, die den neben der offenen Kammertür ins Zwischendeck hinabführenden Niedergang zu den Mannschaftswohnräumen herabpoltern, fühlt das leise Wiegen des Schiffes und den gleichmäßigen, beruhigenden Gang der Schrauben und schläft, müde von diesem ereignisreichen Abend, bald ein –

Als ich zur Mittelwache über schlafende Männer steige, die im Vorraum, im Schloßhof vor den jetzt unbewohnten Kommandantenräumen liegen, und die Tür mit den schweren Vorreibern öffne, empfängt mich wirbelndes Schneetreiben.

Großartig!

Mein erster Gedanke ist, daß nun das Fühlungshalten für den Schweren Kreuzer nicht mehr so einfach sein wind. Einer de Flakmannschaften, die bei der Tür draußen an Deck sitzen, springt auf und schließt die Schottür für mich. Diese elenden Vorreiber! Obgleich der Erste Offizier, praktisch wie er ist, dauernd eine Zimmermannsgruppe im Schiff umhergehen läßt, die nichts weiter zu tun hat, als diese sehr schwer gängigen Vorreiber zu ölen, kann man sich jedesmal die Hände blau und die Knöchel entzweischlagen beim Öffnen und Schließen!

„Das hat die Backbordwache fein gekonnt, was? Mit dem Schnee meine ich!“

„Jawohl, Herr Kapitän! Jetz laufen wir ihm weg, ohne daß er uns sieht!“

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Es ist ein Schneetreiben, wie man es sonst wirklich nur auf unseren Weihnachtspostkarten oder in den großen Weihnachtsausgaben der englischen illustrierten Zeitschriften sieht: dicht, wirbelnd, lustig anzuschauen. Riesengroße, reine Flocken, die das Gefühl der Sicherheit geben, und irgendwie an Kamine, brennende Kerzen, Wärme und Geborgenheit erinnern. Nebel braut dazwischen und verringert die Sicht, genau wie es unsere Laubfrösche, die Meteorologen, schon am Abend vorhersagten, als sie frierend in ihren weißen Jacketts für kurze Zeit auf der Brücke erschienen und mit geringelten Nasen in die feuchte Luft schnupperten.

Auf der Brücke empfängt uns, die Ablösenden, der Leiter der Backbordkriegswache mit freundlichem Lächeln:

„Nichts Besonderes. Kleine Kursänderungen. Es sind jetzt zwei hinter uns.“

Der zweite, der nun ebenfalls als Fühlungshalter hinter der Kampfgruppe läuft, ist der englische Schwere Kreuzer „Suffolk“ der „Berwick“-Klasse, wie wir später aus den englischen Berichten erfuhren.

Aber daß der Wind aufgefrischt hat, das merken wir sehr schnell! Schon gischtet eine See über die Doppeltürme klatschend bis zur Brücke herauf, und wir verschwinden respektvoll hinter der umgebogenen Brückenreling. Von Steuerbord kommt es herein. Weiß grünlich, eiskalt und in flatternden Fetzen greift die See mit gieriger Hand herüber, peitscht Salzwasser nadelscharf gegen unsere Gesichter und läßt uns die Schals fester um den Hals binden. Der Artillerieoffizier greift

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greift zur stark verwaschenen, ausgebleichten Bordmütze: „Gute Nacht, Kameraden!“

Das immer freundliche Gesicht des II.A.O. [Kapitänleutnant Paul Schmalenbach], des Leiters der Backbordkriegswache verschwindet, Posten und B.Ü.s der neuen, der Steuerbordkriegswache melden sich, nacheinander laufen die Meldungen der ablösenden Kriegswache ein. Die Haupt-B.Ü.’s haben schnell ihre Normalstellung für Kriegsmarsch zu Füßen des A.O. und des Wachhabenden Offiziers eingenommen: sie hocken, vor Spritzwasser gedeckt, hinter dem hohen Brückenkleid auf der Holzgräting wie Hühner auf der Stange und freuen sich, daß sie die frostroten Nasen nicht wie wir über die Reling in den scharfen Fahrtwind zu stecken brauchen. Die flexiblen Kabel ihrer Kopftelephone ringeln sich wie dünne Schlangen über Deck zu den Ansteckdosen.

Schneidend scharf und eiskalt weht es herein, das Schneetreiben hat aufgehört, immer klarer wird die Luft, schließlich ist die Sicht gut, an Backbord hängen graublaue Wolken, an Steuerbord ist glasklare Luft.

Plötzlich eine Meldung vom Vormars:

„Flugzeug an Backbord! Richtung 300 Grad!“

Gleichzeitig ein Ruf auf der Brücke:

„Alarm von ‚Bismarck’!“

Die Alarmklingeln schrillen, von unten stürzen die Männer der Kriegsfreiwache die Niedergänge herauf, schon schwenken die Flageschütze in die angegebene Richtung, in der, wegen der großen Entfernung schwer zu erkennen, eine große englische Maschine brummt. Das Flugzeug kreist fortwährend und verholt sich langsam

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in sicherer Entfernung hinter der Kampfgruppe herumkurvend zur Steuerbordseite, wo „Bismarck“ bereits die Rohre schwenkt, den unerbetenen Beobachter abzuschütteln. Ein Steuermannsmaat, der lange durch sein großes Navigationsdoppelglas den Engländer beobachtete, wendet sich zum A.O.:

„Catalina-Flugboot, Herr Kapitän. Ich hab’s genau ausmachen können: Eindecker, zwei Motoren, hochgezogenes Schwanzteil und Bordschütze achtern. Die Erkennungsringe sind auch zu sehen.“

Ich sehe den Steuermannsmaaten etwas erstaunt an, immerhin ist die Entfernung sehr groß und der Typ wirklich schwer zu erkennen:

„Nanu, woher wissen Sie das denn so genau?“

„Ich hab mich oft genug mit diesen Typen beschäftigt, Herr Kapitän, ich habe mich schon als Junge dafür interessiert. Dieser Typ ist ziemlich neu, amerikanischer Typ, die nennen ihn, glaube ich ‚Consolidated’, und die Engländer haben ihn umgetauft.“

Alles sieht nach dem Flugzeug, das wie besessen kurvt und kreist.

„Nicht gerade gutes Wetter für den Burschen,“ meint der Scheinwerferoffizier, „wo der wohl herkommt?“

Der Torpedooffizier, an die gepanzerte Wand des Standes gelehnt, tritt unruhig von einem Fuß auf den anderen:

„Island vielleicht, Neufundland, Schottland wäre auch möglich. Sicher vom Coastal Command der RAF. Oder Langstreckenaufklärer von Scapa! Die Augen der Flotte, wissen Sie!“1)

1) Nach einem Dictum von Admiral Lord Nelson: „Frigates are the eyes of the Fleet“.UR.

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Es war, wie später bekannt wurde, ein Kanadier.

Immer klarer wird es, der Wind – typische Erscheinung dieser hohen Nordbreiten – flaut ebenso schnell ab, wie er aufgekommen war. Wolken wandern weiß und leuchtend dicht über der Kimm. Nach Steuerbord, wo eben noch an den Mastspitzen sichbar einer der Fühlungshalter steht, wird es sogar auffallend klar. Messerscharf trennt die Kimm Himmel und See.

In der Backbordbrückennock flüstert der Artillerieoffizier geheimnisvoll mit dem langen Oberleutnant von den Scheinwerfern. Der hebt die Hand zur Mütze, grüßt und verschwindet. Kurze Zeit später stehen wir bei einer ordentlichen Tasse Kaffe, die mit Hilfe des Sieders des A.O. hergestellt, die Lebensgeister wieder weckt, im Stand. Brüderlich wird geteilt, auch der Torpedoofizier und der Rollenoffizier bekommen eine Tasse ab. Eine seltsame Stimmung ist im Stand, die Blenden vor den schmalen Sehschlitzen sind dicht, Befehlsübermittler stehen stumm, die Kopfhörer über den Bordmützen, die langen dünnen Kabel ihrer Telephone in Kreisen aufgeschossen zu Füßen, gegen die vielen Schaltbretter und Apparaturen gelehnt. Der Rudergänger, beide Hände auf den Druckknöpfen des elektrischen Ruders gelegt, starrt auf Ruderlageanzeiger und Kompaß, an Steuerbord beugt sich der Stabsobersteuermann über die Seekarte und der Steuermannsmaat der Wache wärmt seine Rückseite an dem glühend heißen Heizkörper, dem begehrtesten Objekt ander Rückwand des Standes.

Stille. –

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Nur von draußen, aus der halb geöffneten Leetür tönt das eintönige Rauschen der See, die an den Seiten des Kreuzers längsschießt. So eilen wir „Bismarck“ etwas in Steuerbordstaffel hinter uns, mit südlichem Kurs durch diese eiskalte, helle nordische Nacht.

Wieder draußen spielen wir hinter der Brückenreling das Spiel, das fast jede Mittlwache auf diesem Kreuzer verkürzen hilft: was sich der Seemann wünscht! Früher verstiegen sich einige zu Spiegelseiern mit gebratenem Speck, einem heißen Bad mit Fichtennadeltabletten und einem hübschen Mädchen, jetzt wird einstimmig nur der Wunsch nach vier Stunden alarmlosen Schlafs laut!

Die Backbordkriegswache, die bei Alarm heraufeilte, kann wegtreten: Der englische Flieger ist wohl abgeschüttelt, jedenfalls sehr weit weg und kaum noch zu sehen. Aber kalt ist es, ekelhaft kalt.

„Friebe!“ ruft der A.O., „sieh doch mal nach, Mensch, wie das ist mit unserer trinkbaren Suppe für die Kriegswache!“

Die „trinkbare Suppe“ ist so eine Art Sondermittelwächterfrühstück, das der Verwaltungsoffizier um Mitternacht austeilen läßt und zu dem wir des Fliegers wegen bis jetzt nicht gekommen sind. Sie ist ausgezeichnet, diese trinkbare Suppe: richtige Fleischbrühe, Pilzsuppe oder Gemüsebrühe, aber jedesmal so kräftig und so gut gekocht, daß einer – es war der Rollenoffizier – einmal meinte, sie könnte selbst dem Kaiserhof in Berlin zur Ehre gereichen. Der Kaiserhof – wie weit, wie unendlich weit liegt das jetzt! Gibt es überhaupt noch Menschen, die dort sitzen, die vom Kriege nichts wissen, als was

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sie im Radio, in OKW- und Frontberichten hören, in ihren Zeitungen und Zeitschriften lesen? Unbegreiflich und doch beglückend, wie dies ganze, kriegsferne Leben von einem abfällt, wenn man auf der Brücke eines Schweren Kreuzers steht, der mit allerlei Meilen durch eine stahlgraue See pflügt, die vor wenigen Stunden noch gischtend über die glatten Turmdecken heraufsprang auf der große weiße Schneeflocken zerflossen und Eisbrocken trieben.

Und wenn englische Fühlungshalter hinter der Gruppe herlaufen, wenn man endlich, endlich denken kann: du bist wieder dabei, du sitzt nicht mehr an der Schreibmaschine und mußt das, was sie da draußen täglich, stündlich erleben, den anderen klarmachen, mußt schreiben, schreiben, schreiben –

Was mögen sie überhaupt in der Heimat treiben? Drei Stunden sind sie vor unserer Zeit. Oder sind es schon vier geworden inzwischen? Man sieht im Geiste den riesigen Häuserblock, den großen Platz irgendwo in Charlottenburg, man weiß: nun eilen die gut angezogenen, immer vergnügten kleinen Frauen aus diesem Block in die Lebensmittelgeschäfte, lächeln geduldig, wenn sie noch nicht dran sind, halten ihre Einkauftaschen offen und stopfen ihren Blumenkohl, die großen, rotgelben Möhren hinein, zahlen an der ewig klappernden Kasse und plaudern ein bißchen mit dem großen, stets in sauberes Weiß gekleideten Kaufmann, dem ehemaligen Torpedomatrosen. Dann überqueren sie, mit den Augen rechts und links sichernd, die Kreuzung, diese füchterlichste Kreuzung in ganz Groß-Berlin am Steubenplatz,

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über die Dienstwagen der Wehrmacht, des Heeres und der Luftwaffe, von Döberitz kommend, mit hellem Signal tadellos gesteuert sausen. Man sieht ordentlich, wie die Menschen, ein wenig müde, aber froh des Feierabends, aus dem Ausgang der U-Bahn heraufströmen. Man sieht auch wieder das zarte, kaum bemerkbare junge Grün der Bäume, das so unendlich schüchtern in hellen Knospen gerade eben zu sprießen begann, als man mit Koffern und Papieren viel zu früh zum Bahnhof fuhr, um ja den Zug zum Einsatzhafen nicht zu verpassen. Und dann – ja, dann denkt man an das alte Lied, das Gedicht aus der Wikingerzeit, das so wahr ist und dieser Stimmung hier oben, hoch im Norden, im grauen Meer so gerecht wird, das dem schlanken Kreuzer, der tapferen Besatzung und dem Kriegsmarsch mitten in den weiten Atlantik hinein so gut entspricht, dies Gedicht aus dem „Seefahrer“ des Exeterbuches:

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Glücklicherweise ahnt niemand von unseren Angehörigen, wo wir jetzt sind, was wir treiben und wie es hier aussieht.

Und das ist gut so –

Der Läufer Brücke hat inzwischen die große Barkaß, das Blechgefäß geholt, das er behutsam in eine Ecke des verdunkelten Standes stellt, die, solange die Fahrt dauerte, zur mitternächtigen Tränkstelle der gesamten Brücke wurde. Dann bringt der Matrose die dicken Kaffeetassen mit der Suppe, die wir langsam schlürfen: Offizier, B.Ü,’s und Ausgucks.

„Prima!“ bestätigt der Rollenoffizier, der auf unserer Steuerbordwache den Kreuzer als Wachoffizier fährt.

Er ist der einzige, der nicht friert.

„Mensch, wo haben Sie bloß diesen Pelz her? Ist das nicht Opossum?“

Der Kapitänleutnant, wie immer elegant an den Standpanzer gelehnt, die Hände in den Taschen des dicken Pelzmantels, die Bordmütze schief auf dem dunkelgelockten Haar, lächelt:

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„Hab’ ich mir mitgebracht aus dem Ausland. Polarpelz, nicht? Sie wissen doch, ich war ja mit an Bord auf der – aha, da ist ja schon die Ablösung: Heil, Kameraden!“

Die Backbordwache erscheint, plötzlich ist gewaltiges Gedränge auf der Brücke: Meldungen, Erklärungen, das Tappen der Seestiefel, Schlagen von Türen und die ruhige Stimme des II.A.O., der sich beim Ersten Artillerieoffizier meldet. Der nickt befriedigt, erklärt die Lage und meint abschließend:

„Großartig, mein Lieber! Ich bin schon halb durchgefroren. Machen Sie bloß keinen Alarm, ich möchte endlich mal ungestört schlafen! Übrigens haben wir euch noch Suppe übriggelassen. Ist mal wieder ausgezeichnet, kann ich nur empfehlen!“

Wir schlängeln uns durch die aufziehenden und sich meldenden Männer und gehen über das Backbord-Mitteldeck nach achtern. Der A.O., der seine Kammer unter der Brücke hat, schließt sich uns an:

„Ich hab’s so ’nen blödsinnigen Durst, sicher von der Suppe, muß mal sehn, ob die Pantry noch was rausgeben hann.“

„Auf dem Außendeck tritt der Oberbootsmann auf mich zu:

„Herr Kapitän wollten doch einen Gefechtsanzug haben. Ich kann gerne meinen geben, ich trage ja Lederzeug.“

„Das ist ja wunderbar! Man friert doch verdammt da oben und einen richtigen Wachmantel hab’ ich nicht mehr. Lassen Sie den Gefechtsanzug doch bitte in meine

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Kammer bringen, und vielen Dank auch! Hoffentlich paßt er!“

Er hat nicht gepaßt!

In der Anrichte vor der Offiziersmesse erobern wir tatsächlich noch eine Flasche Lauchstädter Brunnen und ziehen uns samt Gläsern in meine Kammer zurück, um mit dem Leiter der achteren Turmgruppe, einem Oberleutnant – in Zivil Direktor einer großen Firma – und dem Ersten Artillerieoffizier noch ein paar artilleristische Fragen zu besprechen, die angesichts des Fliegeralarms heute abend auftauchten. Der Oberleutnant ist mit einer anderen Flasche erschienen, die er mit triumphierender Miene auf den kleinen Tisch knallt. Erstaunt sieht der A.O. auf:

„Dreßler Bier? Mensch, wo haben Sie denn das her? Wir haben doch keins an Bord?“

Während ich Zigaretten anbiete und die Streichhölzer aus einer Schreibtischschublade krame, erzählt der Oberleutnant:

„Ja, Herr Kapitän, das kam so: wir hatten doch in diesem Fjord den Tanker längsseit und die Männer von dem waren kolossal scharf auf Zigaretten. Sie hatten nämlich keine mehr. Als ich so über meinen Berechnungstabellen in der Kammer arbeite, höre ich Schritte draußen vor meinen Bulleyes und hänge den Kopf heraus, als gerade zwei Mann von der Zivilbesatzung des Tankers mit einem Koffer längs Deck gehen. Als ich fragte, was sie denn da anbrächten, meinten sie, sie hätten Dreßler Bier für zwei von unseren Kapitänleutnants gegen Zigaretten getauscht und wollten das Bier nun

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abliefern. Na, da hab’ ich natürlich gesagt, daß diese Lieferung ertmal mir gehört, sie könnten die anderen ja später noch beliefern, und habe ihnen ordentlich Zigaretten in die Taschen gestopft. Die Kapitänleutnants haben fein geschimpft!“

Nach Erledigung der Fragen, was für Schalt- und Einsatzmöglichkeiten am besten bei anfliegenden Aufklärungsflugzeugen oder Bombern anzuwenden sind, reden wir über die Lage. Was der Engländer wohl machen wird, ist das Grundthema, das wir eingehend erörtern, wobei immer wieder die Überlegenheit unserer Kampfgruppe als selbstverständlich herausgestellt wird, bis auch die Flasche Lauchstädter gelenzt ist – und es Zeit zum Schlafengehen wird. Unter der hellen modernen Flutlichtlampe des Schreibtischs werden schnell noch die Notizen über die vergangene Wache gemacht, dann sehe ich auf die Uhr und stelle mit Entsetzen fest, daß wir immerhin eine halbe Stunde der kostbaren Schlafzeit verpalavert haben, lege mich angezogen mit Schuhen auf die Koje, knipse sämtliche Birnen aus, ziehe die harte Wolldecke über und rolle mich auf die Seite, nachdem ich das von Hause wohlweislich mitgebrachte kleine Kissen mit den weichen Daunen auf das lederbezogene Keilkissen legte. Dann versucht man einzuschlafen, was an Bord eines auf Kriegsmarsch befindlichen Schiffes nicht so ganz einfach ist. Jederzeit ist man gewärtig, die Alarmklingel zu hören, jederzeit darauf eingestellt, mit einem Tigersatz von der Koje zu sausen, Schwimmveste, Doppelglas, Bordmütze, Film- und Photoapparat zu greifen und über die im Gang vor den

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Kammern schlafenden und nun ebenfalls aufgestörten Männer der Kriegsfreiwache hinweg hinauf zum Schloßhof und an Deck zu stürzen.

Wie gut, daß vor allem die, die man liebt, nicht weiß, wo man ist, denkt man noch vorm Einschlafen, hört auf den gleichmäßigen Gang der Schrauben, fühlt das leise Wiegen dieses wunderbaren Seeschiffes, überlegt noch kurz, wie eigenartig dies alles ist, daß man ganz ruhig schlafen kann, wenn zwei englische Schwere Kreuzer der Kampfgruppe folgen, und dann, ja, dann ist man wohl eingeschlafen –

Rrrrrrrrrrrrr!

„Die verdammte Alarmklingel!“

Raus aus der Koje, Sachen an sich gerissen, einen schnellen Blick noch auf die beiden Photos von Frau und Sohn, und weg, den Niedergang hoch, den Alarmweg, den bereits viele Männer ebenfalls, von allen Seiten und aus dem Zwischendeck kommend, hinaufstürzen. Ein Leutnant rast vorbei:

„Jetzt wird’s ernst, Herr Kapitän!“

„In Ordnung! Was ist denn los?“

Keine Antwort, der Leutnant saust gerade durch die Schottür zum Oberdeck. Draußen mannt die Bedienung der Schweren Flak Granaten, ich tippe einen B.Ü., der das Kabel seines Kopftelephons klariert, an:

„Was ist denn los? Fliegeralarm oder was?“

„Schiffe, Herr Kapitän, englische Kriegsschiffe - “

Vorbei an den Verkehrsbooten, die Eisenplanken des Laufstegs längs, überall rasen Männer der Kriegsfreiwache

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auf ihre Gefechtsstationen, dem Ersten Artillerieoffizier rufen sie, als der den erheblich kürzeren Weg aus seiner Kammer unter der Brücke heraufhastet, zu:

„Schiffe, Herr Kapitän, viele Kriegsschiffe! Eine ganze Menge!!!“

Rundblick auf der Brücke, wo der Kommandant groß, ruhig wie immer an einem der festen Brückengläser der Backbordseite steht: ein wunderbar stiller Morgen, zarte, sanfte Farben, ruhige See. Wir laufen immer noch an der Spitze, „Bismarck“ hinter uns. Hellgelbe Streifen liegen über blaudunstigen Wolkenschatten, zart getuscht wölbt sich ein durchsichtig heller Himmel und die frische kühle Polarluft weht uns entgegen. An Backbord sind – ungefähr querab – zwei, später drei Rauchwolken zu erkennen, die anscheinend schnell näher rücken.

Wie wir erfahren, hatte unser Kommandant um 4 Uhr 30 einen Winkspruch an den Chef des Stabes der Flotte machen lassen:

„K an C: je eine Rauchwolke in rechtweisend 96 und 157 Grad, in rechtweisend 15 Grad außerdem ein Mast. Entfernung 176 Hundert.“

Das ist der Feind, das sind unzweifelhaft englische Kriegsschiffe, die dort mit Höchstfahrt anlaufen! Die blauen Augen des I.A.O. blitzen:

„Heil, Kameraden! Also rauf! Auf in den Kampf, Trocadero!“ Kampflust und herrliche Unbekümmertheit, ein sicheres Gefühl der Überlegenheit und echte Freude am Soldatenhandwerk sprechen aus diesem Scherzwort,

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das vor allem auch den umstehenden Männern, die es hören, einen tieferen Eindruck macht als etwa eine würdige Miene und ein ernstes Wort in diesem Augenblick! Sie lieben alle den mittelgroßen, stets vergnügten Korvettenkapitän, ihren Artillerieoffizier, und sie wissen genau, wie gut er schießt mit seinen 20,3 cm, und sie wissen vor allem, daß er jetzt, wo es darauf ankommt, sein Bestes tun wird. Ein paar Männer, B.Ü.’s und Ausgucks, sehen ihm begeistert nach, als wir nun, dem N.O. und dem Oversteuermann, die mit ihren schweren Doppelgläsern aufmerksam nach Backbord beobachten, zunicken und zur Schottür des Turmmastes eilen. So schnell sind wir noch nie während dieser Fahrt auf die Galerie des Vormastes gekommen! Auch hier sieht alles mit Gläsern bewaffnet nach dem Feind. Der II.A.O., der als Kriegswachleiter der Backbordkriegswache beim ersten Alarmsignal heraufkletterte, hat den Weyer, das Taschenbuch der Kriegsflotten, und eine Tabelle mit den Schattenrissen der englischen Kriegsschiffe in der Hand1):

„Noch nicht recht auszumachen, welcher Typ, Herr Kapitän. Wahrscheinlich ist der vordere ‚Hood’. Liegen zwo Dez2) heran, die Schiffe nähern sich rasch. Etwas links scheint noch ein dritter zu stehn.“

Und den Kapitänleutnant herum stehen ein paar B.Ü.’s und sehen über seine Schulter auf die Photos und Tabellen. Die Leutnants von der Flak geben Befehle durch ihre Kopftelephone, einer der Unteroffiziere


1) Weyers Taschenbuch der Kriegsflotten, XXXIV. Jahrgang 1940, enhält Seitenrisse von „Norfolk“, „Suffolk“, „King George V / Prince of Wales“ und „Hood“. UR.
2) ein Dez = 10 Grad, also 20 Grad.

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wischt die Okulare seines draußen stehenden Flakzielgeräts sauber, schwingt sich wieder auf den Sattelsitz und preßt die Augen gegen die Gummimuscheln. Spannung steht auf allen Gesichtern, eine ungeheure Spannung. Mit einem Ruck wirft der A.O. den grünen Schwimwestenbeutel am Leinenriemen auf den Rücken und betritt die Vormarshaube. Längst kleben hier die Unteroffiziere an der Optik ihrer Geräte, der schlanke junge Entfernungsmeßoffizier, mit dem Rücken gegen die gepanzerte Wand gelehnt, gibt Befehle an seine Entfernungsmesser durch das Kopftelephon. Ruhig und deutlich, keine Shattierung lauter als sonst spricht dieser Oberleutnant mit dem schmalen Gesicht alter Rasse zu seinen Männern, wiederholt geduldig, wenn etwas nicht verstanden wurde, und hebt den Arm zur Begrüßung, als der A.O. an seinen Zielgeber tritt. Es ist, als sei dies alles eine Übung und nicht etwa Vorbereitung zu einem Gefecht mit dem Engländer. Ein bißchen lauter als gewöhnlich ist es im Stand, die freudige Erregung läßt manche von den Männern Bemerkungen machen, die sonst wohl unterblieben wären: zu groß ist die Freude, daß sie, die monatelang darauf warten mußten, die immer wieder vergebens hofften, nun endlich hinausfahren zu können gegen den Feind, jetzt endlich, endlich den Engländer vorm Bug, besser: Backbord querab, haben. Der Erste Artillerieoffizier läßt für einen Augenblick seinen Zielgeber fahren und dreht sich herum:

„Stand dicht! Ruhe, zum Donnerwetter!“

Dann nimmt er die Augen wieder an die Gummimuscheln und stellt sorgfältig seine Okulare ein. Die

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linke Hand im dicken Lederhandschuh fährt in die Jackettasche:

„Himmel, wo ist mein ‚Gebet vor der Schlacht’?“

Kurzes Suchen, die Hand fährt wieder heraus und rückt den ewig nach vorn rutschenden Schwimmwestenbeutel nach hinten: „Ach wo, geht auch so!“

Die beiden Panzertüren des Standes werden geschlossen, der E-Meßoffizier begibt sich, das Kopftelephon umgeschnallt, Kabel sorgsam in der Hand, zu einem Backbord achtern in einer engen Rundung stehenden Zielgerät, an dem ich auch, ziemlich eingeengt zwischen einen Heizhörper und das in der Standdecke aufgehängte Gerät, Platz genommen habe.

Alles wartet auf die Anfangsbefehle.

Warm ist es im Stand und plötzlich seltsam still. Abgeschlossen von der Außenwelt, eine Insel für sich, bilden Menschen und Apparate eine der vielen Maschinen, die nun eingespannt in das Geschehen unter dem Befehl des Kommandanten auf diesem Kreuzer dem einen Ziel, der Vernichtung des Feindes dienen. Das leise Summen der Apparate unterstreicht die Stille, von draußen dringt kein Laut herein, es ist, als schwebten wir, losgelöst von allem in einer Stahlkugel, dreißig Meter und mehr über der See. Wir drehen beide, der Graf und ich, an dem Rad des Zielgebers, das die Seitenrichtung einstellt, während der A.O. langsam und deutlich seine Anfangskommandos gibt:

„Richtung 273 Grad! Auf den Zerstörer, nein – auf das Schiff am weitesten arechts. Das Schiff hat zwo Schornsteine und zwo Masten -“

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Von allen Seiten laufen Klarmeldungen ein, werden wiederholt und vom A.O. mit kurzem „Aye“ quittiert. Wir sehen auf dem interen Kranz unseres Geräts schnell die Gradrichtung nach, drehen das Gerät und stellen unsere Optik ein. Noch ist die hellblaue Kimm leer, die wir absuchten, aber jetzt – ein dunkelgrauer Schatten! Noch einer! Schnell auf den ersten den am weitesten rechts zurückgedreht, der eine hohe weiße Bugwelle hat, hohe Brückenaufbauten und zwei scheinbar dicht nebeneinander stehende Schornsteine, zwischen denen wieder irgend etwas, anscheinend Scheinwerfer- und E-Meßstand liegt.

„Donnerwetter, Graf! Da ist er ja! Verdammt deutlich, was? Himmel, ist das eine Optik hier! Sind das nun Kreuzer oder was ist das, sie liegen so spitz auf uns zu, man kann das wirklich noch nicht erkennen -“

Da ist wieder die helle Stimme des A.O.:

„Gegner hat Bug rechts, liegt zwo Dez heran, läuft 25 Meilen, Entfernung 210 Hundert -“

Geschoßart und andere artilleristische Angaben folgen, wir starren gebannt auf die beiden Engländer, die dort drüben, unendlich weit und nur durch unsere guten Geräte nahe herangeholt, anlaufen. In Steuerbordstaffel laufen sie und der linke scheint etwas kleiner zu sein, qualmt auch mehr als der erste, dessen Schornsteinrauch etwas helle scheint. Wenn man den Typ nur besser ausmachen könnte, so schräg von vorn ist es schwer zu sagen. „Birmingham“? Nein, die hat ja geneigte Schornsteine. „Exeter“? Auch unmöglich, einmal stehen die Schornsteine weiter von der Brücke ab und

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dann ist der zweite, der achtere auch schmaler als der erste. Man geht in Gedanken blitzschnell den ganzen Weyer durch, sollten die beiden etwa doch größer sein, als sie von hier aus bei der Riesenentfernung und dem spitzen Winkel, in dem sie zu uns stehen, scheinen, sollten es – Himmel, da blitzt es ja auf drüben, und wie!!

„Eben hat er gefeuert! Haben Sie gesehen?“

„Jawohl, jetzt feuert auch der zweite.“

Ganz ruhig sagt es der Oberleutnant, ich sehe mich schnell im Stand um: da stehen sie alle, die Augen an die Geräte gepreßt, niemand sagt ein Wort, und dann prallt röhrender Donner gegen die Eisenwand der Vormarshaube:

„‚Bismarck’ hat Jot Dora! ‚Bismarck’ hat Feuer eröffnet!“ schreit ein Unteroffizier. „Befehl vom Kommandanten: Feuererlaubnis!“

Es ist 4 Uhr 45 Ortszeit, als unsere erste Salve eine Sekunde nach dem Befehl des Kommandanten auf den Gegner am weitesten rechts fällt.1) Man fährt zum ersten Male zusammen, wenn die noch nicht erlebte Erschütterung den ganzen Gefechtsstand sekundenlang schüttelt und schwingen läßt.

Unten im Schiffsleitstand wendet sich der Kommandant lächelnd zum N.O.: „So kurz nach Feuererlaubnis hat der A.O. noch nie geschossen!“

Mir fällt bei der schnellen Aufeinanderfolge der Ereignisse jetzt erst die Beobachtung auf, die ich beim Aufblitzen der Salve auf dem Gegner machte. Das war Schwere Artillerie, die da feuerte, mindestens 38-cm-Geschütze! Große kreisrunde Feuerscheine mit sehr


1) „Prinz Eugen“ feuerte die erste Salve eigentlich um 4 Uhr 55 Mitteleuropäische Zeit (0555 Deutsche Sommerzeit). JR.

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langen gelborangenen Blitzen, vier vorne, vier achtern. Der II.A.O. hatte recht. Das sind Schlachtschiffe, die da anlaufen, das sind keine Kreuzer! Und wie sie anlaufen! Unwillkürlich denkt man an einen Schießübung: Anlauf I wird gefahren, genau so sieht das aus! Weiße Schnurrbärte vor dem Bug: tadelloser Abstand, leichte Steuerbordstaffel, geschlossene Turmsalven. Daß auf dem vorderen Schiff, dem Schlachtkreuzer „Hood“ sogar auch der englische Artillerieinspekteur an Bord war, erfuhren wir erst später. Aber merkwürdig sehen sie doch aus, die beiden Schiffe da drüben, ein wenig wie die dunkel gemalten Bleschschachteln aus dem Spielwarengeschäft in Berlin, das früher so wunderbare Schiffsmodelle und jetzt oft für den Fachmann unmöglich scheinende Fahrzeuge ausstellt.

Und dann muß ich, während unsere 20,3-cm-Granaten gegen den Feind heulen, daran denken, daß ich nun dies tolle Glück habe, vom Vormars eines modernen Schweren Kreuzers aus mit einer wunderbar scharfen Optik ein Gefecht beobachten zu können, das unsere „Bismarck“ sicher zu einem Sieg der deutschen Kriegsschiffe gestalten wird. An den II.A.O. muß ich wieder denken, der kurz vor Beginn des Gefechtes den Typ der beiden Schiffe bereits richtig erkannte, aber der steht nun draußen auf der Galerie und mit ihm der nette Leutnant mit der braungebrannten kurzen Pfeife aus festem englischen Holz und die Oberleutnants und Leutnants von der Flak, die B.Ü.’s, Ausgucks uns Entfernungsmesser, all das Personal, das hier oben an dreißig Meter über der See mit fiebernder Spannung das große Schauspiel

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erlebt, das dieser 24. Mai unseren beiden Schiffen bieted. Ich denke daran, daß ich in der Skagerrakschlacht auf dem Liniensschiff „Oldenburg“ die ganze Tagschlacht als B.Ü.-Offizier tief im Schiffsbauch, in der Artilleriezentrale mitmachte und daß es zuweilen gar nicht schön war, sozusagen blind dazustehen. Und jetzt? Besser kann man es sich gar nicht wünschen: glasklare Sicht, vorzügliche Geräte und der Gegner trotz der großen Entfernung wie auf dem Präsentierteller.

Was sagte doch der Kapitänleutnant noch, kurz ehe wir im Stand verschwanden? Ein Schwerer Kreuzer, wohl einer der Fühlungshalter von gestern abend stehe hinter uns an Steuerbord – es war, wie sich später nach britischen Berichten herausstellte, „Norfolk“, die uns zuerst gesichtet und gemeldet hatte – und der andere sei an Backbord, sehr weit achteraus, wahrscheinlich noch ein weiterer, vielleicht ein Leichter Kreuzer, ziemlich achteraus an Backbord, er glaubte die Rauchfahne gesehen zu haben. Also fünf, mindestens vier gegen zwei. Davon zwei Großkampfschiffe von 46 und 40000 und zwei Schwere Kreuzer von je 10000 Tonnen.

Drüben feuern sie, feuern, was die Rohre hergeben. Jedesmal leuchten nach den großen roten Abschüssen der Schweren Artillerie unseres Gegners feurige Kreise in einer Linie eben unter den Schornsteinen auf: Die Mittelartillerie feuert mit. Bei jeder Salve, die der Feind geschlossen und schnell feuernd hinausschickt, sind die Schornsteine, Masten und Aufbauten rosarot erhellt vom Widerschein der aus den Rohrmündungen fahrenden Feuerflammen.

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„Wo bleiben nur die englischen Aufschläge? Haben Sie schon welche beobachtet?“

„Nein!“ meint der Oberleutnant, „sie haben doch schon mehrmals gefeuert, die müßten ja längst hier sein.“

Daß wir hundert Meter vorm Bug, füngzig bis achtzig Meter im Kielwasser und fünfzig Meter an Backbord feindliche Aufschläge hatten, daß unser Deck mit dem von den zusammenbrechenden Aufschlägen herniederprasselnden Wasser überschüttet wurde, das beobachteten nur die Offiziere und Mannschaften, die draußen auf der Galerie, dem Haupflakeinsatzstand, auf den Brücken oder als Kriegsberichter irgendwo frei an Deck standen. –

Unten im Waffenleitstand herrscht zu Beginn des Gefechts absolute Ruhe. Alle hören auf die kurzen Befehle des Kommandanten, der an einem der Sehrohre stehend, den Gegner beobachtet und seine Beobachtungen dem N.O. mitteilt.

Plötzlich die aufgeregte Stimme eines Unteroffiziers, der ebenfalls in seinem Sehrohr den englischen Schlachtkreuzer, das für „Prinz Eugen“ befohlene Ziel, hat:

„Der schießt ja!“

Für einen Augenblick nimmt der Kommandant die Augen von den Okularen: „Ruhe, Mann! Immer mit die Ruhe! Woll’n erstmal abwarten, was dabei rauskommt.“

Und dann feuert die eigene Schwere Artillerie.

Als die hohen Wassersäulen der Aufschläge der Schweren Turmgeschütze der „Hood“, durch die „Prinz Eugen“ steuert, herniederprasseln, und Back, Türme

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und Stand mit ihren Wassermassen überschütten, verläßt der Kommandant mit seinem Läufer den Stand. Die Sehrohre sind vorübergehend so beschlagen, daß der Kommandant lieber von draußen beobachtend seine Entschlüsse fassen will.

Als die ersten Treffer drüben auf dem Engländer erkannt werden, läßt die Freude die Männer auch hier in begeisterte Rufe ausbrechen. Der Kommandant, von der Beobachtung des Gegners voll in Anspruch genommen, bleibt draußen. Als die Freudenrufe drinnen allzu laut werden, eilt der Kommandant mit ein paar schnellen Schritten zur Leetür und ruft ein donnerndes:

„Ruhe im Stand!“ hinein.

Sofort verstummt alles, während die Salven des Schweren Kreuzers im schnellen Wirkungsschießen das Schiff erschüttern. –

Die Besatzung der Vormarshaube stellte erst nach dem Gefecht fest, daß überhaupt Aufschläge beim eigenen Kreuzer lagen, ebenso, wie wir erst viel später erfuhren, daß „Hood“ nur auf uns schoß, da der britische Admiral „Feuerverteilung von links, Schiff gegen Schiff“ befohlen hatte.

Da – da sind Aufschläge beim Engländer! Etwas links, kurz und einige wohl im Schiff. Nicht ganz sicher auszumachen, weil wir die Aufschlagmeldeuhr nicht hören, die nur der A.O. vernimmt. Dann krachen unsere Türme wieder los, während der dumpfe Donner der „Bismarck“-Geschütze über die See rollt. Der Turmmast wackelt und schwingt. Im ersten Augenblick, wenn man den Pulverqualm der gleich danach an den Okularen

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