Zum Schluss mussten sie die schwarze Piratenflagge setzen

Von 1162 in Dienst gestellten deutschen U-Booten haben nach 68 Monaten nur 378 das Kriegsende erlebt.
Ein Artikel von Thilo Bode, Kommandant von U-858.
Erschienen am 17. Juni 1995 in der "Wilhelmshavener Zeitung"


Nicht die weisse, sondern seltsamerweise eine schwarze Flagge war es, die auch noch nach dem 8.Mai über alle Weltmeere verstreuten deutschen U-Booten als Zeichen der Kapitulation gesetzt werden musste - eine Geste der Ritterlichkeit oder ein Stück nachhallender Kriegspropaganda: Ihr seid Piraten?
Nackt und bloss kamen die Boote, die nach dem 8.Mai nicht mehr tauchen durften, sich "oben" vor, denn seit langem hatten sie, erdrückt von der immer fühlbarer gewordenen Übermacht, das Tageslicht zu scheuen gelernt.

Irgendwann erschienen dann am Horizont die bisher so gefürchteten Zerstörer, umstellten das Boot und entsandten ein bis an die Zähne bewaffnetes Enterkommando. Förmlich wurde der Kommandant gefragt, ob er sich den übergabeanordnungen der Regierung Dönitz füge, und ehe sichs die deutschen Seeleute sichs versahen, wehte die Flagge des Siegers über der Kriegsbeute. Es waren sehr eigene Gefühle, die sich einstellten, nicht zuletzt die Erleichterung, überlebt zu haben. Von den insgesamt 1162 in Dienst gestellten U-Booten hatten nur 378 das Kriegsende erlebt; 28 000 der 40 000 jungen U-Boot-Männer waren gefallen. Jetzt standen die Besatzungen am Oberdeck der Boote, die nicht mehr die ihren waren und wurden "gefilzt" - der Alltag des Kriegsgefangenen hatte begonnen, mitten im Atlantik.

68 Monate U-Boot-Krieg lagen hinter der U-Boot-Waffe.Die entscheidende Frage war nach der britischen Kriegserklärung an Deutschland gewesen: Wie bezwingt man eine nur einmal, Anno 1066, besiegte grossee Insel und die stärkste Seemacht der Welt? Invasionspläne waren aufgegeben,die Luftherrschaft nicht errungen worden.
So blieb nur das Seekriegsmittel des "kleinen Mannes" gegen eine fast völlig von überseeischer Zufuhr abhängige Macht: das U-Boot. Auch das war ein Hasardspiel. Schon im ersten Weltkrieg war der Handelskrieg mit U-Booten an der Einführung des Geleitzugsystems gescheitert: Die Handelsschiffe fuhren nicht mehr einzeln, sondern in grossen und von Kriegsschiffen geschützten und verteidigten Konvois. Dazu kam die geographisch ungünstige Ausgangsposition: Deutschland war in der Nordsee eingesperrt, seine beiden Ausgänge im Norden, wie im Südwesten in der Hand der britischen und der französichen Flotte. Erst die Eroberung Norwegens und Frankreichs im Frühjahr 1940,obwohl nicht aus diesem Grunde unternommen, änderte die Ausgangslage; die norwegischen und französischen Häfen waren deutsche U-Boot Stützpunkte geworden.


VIIC-Boote 13.Mai 1945: Festmachen in der Tirpitz-Schleuse (Wilhelmshaven) der 3.Einfahrt. Drei VII-C Boote liegen bereits im Päckchen fest

Bildquelle: "Wilhelmshavener Zeitung" vom 17. Juni 1995



Mit 57 U-Booten trat Deutschland in den Krieg ein,noch nicht einmal die Hälfte von ihnen war für ozeanische Verwendung geeignet. Für Sie forderte der Befehlshaber der U-Boote, Admiral Dönitz, einen schnellen Ausbau auf 300 Boote. Von ihnen konnte, nach einer anerkannten Faustregel, nur mit einem Drittel in den Operationsgebieten gerechnet werden, der Rest befand sich auf dem An- oder Heimmarsch oder in einer Reparaturwerft. Tatsächlich haben sich in nur einem einzigen Halbjahr,von Oktober 1942 bis März 1943, durchschnittlich etwa 100 Boote im "Einsatz" befunden, und das verstreut über viele Meere, jedoch mit dem überwiegenden Schwerpunkt Atlantik, der Versorgungsstraße für die britischen Inseln. Die "Sondermeldungen" des deutschen Rundfunks vertuschten, wie dünn, bis auf Ausnahmesituationen, der U-Boot-Schleier gewebt war.

Der "Handelskrieg",die kriegsrechtlich zulässige Versenkung gegnerischen Schiffsraums, kostete die alliierten und in ihrem Dienste fahrenden Handelsflotten über 2600 Schiffe und etwa 170 Kriegsschiffe dazu. Die Wirkung dieses Aderlasses läßt sich an den Einschränkungen ablesen, welche die britische Zivilbevölkerung auf sich nehmen mußte. Die britischen Importe sanken von 60 auf 26 Millionen Tonnen im Jahr, schon 1941 nahmen die Ausgaben der britischen Bevölkerung für ihre Ernährung um 20 Prozent, für Bekleidung um 38, für Haushaltswaren um 43 und für das Autofahren um 76 Prozent ab.
Im Jahr 1944 war die Konsumgüterproduktion gegenüber dem Vorkriegsstand um 45 Prozent gesunken, im Januar 1945 waren nur noch für zwei Monate Lebensmittel auf Lager.

"Die U-Boote waren nicht nur 1943 nahe am Sieg, sondern auch 1945 - nicht wegen der Verluste im Endstadium, sondern wegen der früheren Verluste... Die Schlußphase des Krieges wurde zu einem Wettrennen zwischen der (bevorstehenden) deutschen Niederlage und dem Zusammenbruch der britischen Wirtschaft" - so der britische Wissenschaftler Philip Pugh auf einem Fachkongreß.
Das Auf und Ab des U-Boot-Krieges in seinen verwirrenden Details kann hier nicht nachgezeichnet werden. Die zunächst erratisch ansteigende Kurve der Schiffsversenkungen erreichte im Spätsommer 1942 ihren Höhepunkt und fiel dann,angesichts der immer stärker werdenden Abwehr, kontinuierlich und drastisch, bis zum letzten Quartal 1944 wieder ab, um, überrachend, im ersten Quartal 1945 wieder auffallend anzusteigen - die ersten U-Boote eines völlig neuen Typs waren an die Front gekommen.


Letztes Einlaufen in den Wilhelmshavener Hafen im Mai 1945. Im Hintergrund die Kaiser-Wilhelm-Brücke.

Bildquelle: "Wilhelmshavener Zeitung" vom 17. Juni 1995

U-Boote im Hafen von Wilhelmshaven. Mai 1945


Doch schon der Mai 1943 war zur entscheidenden Wende im U-Boot-Krieg geworden, 43 U-Boote, die bisher höchste Zahl, waren verlorengegangen, besiegt von neuer Abwehrtechnik auf der anderen Seite. Die U-Boote wurden danach zunächst von den für sie gefährlichsten Atlantikrouten zurückgezogen und operierten nach dem Prinzip des "ökonomischen U-Boot-Krieges" ,wo Erfolge für möglichst geringe Verluste zu haben waren.
Das Ziel des U-Boot-Krieges blieb immer mehr Schiffsraum zu versenken, als nachgebaut werden konnte. Das war etwa bis zur Jahreswende 1942/43 der Fall. Diese Art von Krieg war kein risikoloses Abschießen friedlicher Handelsschiffe, denn sofort nach Kriegsbeginn führte Großbritannien das Geleitzugsystem wieder ein; eine immer stärker werdende der bis zu 90 Handelsschiffe großen Geleitzüge durch begleitende Kriegsschiffe (wodurch auch neutrale Handelsschiffe ihre Eigenschaft als friedliche Handelsfahrer einbüßten) vernichtete immer mehr angreifende U-Boote.

Doch um die Jahreswende 1942/43 sah es für kurze Zeit danach aus, als könnten die U-Boote ihr Ziel erreichen. Es gab erste britische Überlegungen, das Geleitzugsystem abzuschaffen, weil Einzelfahrer villeicht größere Überlebenschancen hätten. Die Probe aufs Exempel brauchte nicht gemacht zu werden, denn jetzt begann der Kriegseintritt der Vereinigten Staaten zu wirken.
Noch heute ist nicht völlig geklärt, warum Deutschland sofort nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour am 7. Dezember 1941 den Vereinigten Staaten ebenfalls den Krieg erklärte. Für die deutsche Seekriegsleitung waren die damit geschaffenen klaren Verhältnisse zugegebenermaßen eine Erleichterung, denn schon seit längerem waren die Amerikaner ,ohne daß formell Krieg zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten herrschte,im Atlantik aktiv gegen deutsche U-Boote vorgegangen.
"Einige sehr dehnbare Definitionen von Neutralität", wie es ein britischer Autor zynisch ausdrückt, wurden auf amerikanischer Seite dabei bemüht: frühe Pläne für eine spätere gemeinsame Geleitzug-Organisation; die Überlassung von 50 amerikanischen Zerstörern an Großbritannien, als Amerika sich noch nicht im Kriege befand; das Vorschieben der "panamerikanischen Sicherheitszone" bis zum 30. Westlichen Längengrad eben westlich Islands, eine empfindliche Einengung für die deutschen U-Boote.


U-Boot-Besatzung in Wilhelmshaven nach der Kapitulartion Die Besatzung geht von Bord, endgültig. Ein alliierter Soldat (ganz rechts) beobachtet die Männer.

Bildquelle: "Wilhelmshavener Zeitung" vom 17. Juni 1995



Entscheidend blieb die militärische Interessenlage. Daher konzentrierten sich die Inselbriten, sich der Lebensnotwendigkeit ungestörter Handelswege bewußt, eher auf die U-Boot-Abwehr, die deutsche Marine auf die Entwicklung einer Waffe, die im Kriegsfalle dem Schwächeren Aussichten zu bieten schien.
So schufen sich die Briten vorrangig ihr elektronisches Unterwasser-Ortungsgerät, das ASDIC. Die Deutschen erfanden die "Rudeltaktik", das gemeinsame, taktisch vom Land aus geführte Operieren mehrerer U-Boote. Das Schema blieb im Kriege erhalten, in der Ortung behielten die Briten und die Amerikaner die Nase vorn, während die Deutschen ihre Boote vervollkommneten: Der Horchtorpedo wurde entwickelt, der sich sein Ziel selber suchte, der Schleifentorpedo,der in programmierten Suchkursen durch einen Geleitzug kurvte.
Technisch entschieden drei Entwicklungen den U-Boot-Krieg: Das HF/DF auf der alliierten Seite, ein Hochfrequenz-Peilgerät,das selbst nur wenige Buchstaben umfassende Kurzsignale einpeilen, das heißt die Richtung feststellen konnte, aus der die Funksprüche der U-Boote kamen (bis zu 2000 Funksprüche täglich wurden zwischen den U-Booten und ihrer Führung gewechselt). Im weiteren Verlauf des Krieges gelang es den Alliierten, die Reichweite ihrer Flugzeuge zur U-Boot-Abwehr auf den gesamten Atlantik auszudehnen. Die wohl größte Rolle spielte jedoch die auf beiden Seiten entwickelte Fähigkeit, die raffiniert verschlüsselten Funksprüche der jeweils anderen Seite mitzulesen, womit nicht immer, aber oft genug die Standorte und Absichten des jeweiligen Gegners bekannt wurden.

"Ultra" hieß das Wunderwerk bei den Alliierten, "B(eobachtungs-)Dienst" bei den Deutschen. Den Briten kam dabei zugute, daß es ihnen in nicht weniger als sechs Fällen gelang, darunter zweimal aus gekaperten U-Booten, Schlüsselmaschinen und Schlüsselunterlagen an sich zu bringen, ohne daß die Deutschen das bemerken konnten. Den Abschluß des technischen Wettlaufs bildete die Konstruktion völlig neuer U-Boote auf deutscher Seite, die aus dem bisherigen Tauchboot, denn mehr war das konventionelle U-Boot kaum gewesen, mit Hilfe seiner vervielfachten Batteriekapazität und seines Schnorchels das reine Unterwasserfahrzeug machte, das überhaupt nicht mehr aufzutauchen brauchte.

185 dieser Boote wurden noch fertiggestellt,kamen aber bis auf zehn nicht mehr zum Einsatz. Sie wurden genannt Typ XXI (große Boote) und Typ XXIII (ein kleineres Küstenboot), am Ende des Krieges mit entsetztem Erstaunen von den alliierten Fachleuten wahrgenommen; ihr Auftreten auf den Weltmeeren, so ein fachmännisches amerikanisches Urteil, hätte einen völlig neuen U-Boot-Krieg bedeutet.
Diese Boote wurden nach 1945 zum Vorbild aller internationalen Nachkriegskonstruktionen, bis sie, bei den Atommächten,vom Atom-U-Boot unserer Tage abgelöst wurden, das sich mit dem Handelskrieg nicht mehr abgeben wird.

(Nachdruck in der "Wilhelmshavener Zeitung" aus der "Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 6 Juni 1995; mit freundlicher Genehmigung des Autors, der das Kriegsende als U-Boot-Kommandant im Atlantik erlebt hat, und der Redaktion)


Vielen Dank an E-Mail senden an: MarkusU48@aol.com, der mir diesen Artikel zuschickte.