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Der Schwere Kreuzer

Vor mir, hoch die lange Pier überragend, schlank und doch kraftvoll, den starken Gefechtsmast vor dem mächtigen, gedrungenen, nach hinten zu abgeschrägten Schornstein, mit Tarnbemalung über den 20,3-cm-Rohren der Schweren Türme und der Schweren 10,5-cm-Flak über allen Aufbauten und an den Seiten, liegt der Schwere Kreuzer „Prinz Eugen“.

Ein herrliches Gefühl, hach langer und langweiliger Bahnfahrt endlich hier zu sein, endlich wieder an Bord zu können, mitfahren zu dürfen zu – ja, wozu?

Daß es in wenigen Tagen hinausgehen soll, irgendwohin in den großen Atlantik, daß eine Kampfgruppe, die Kampfgruppe „Bismarck“, die aus dem mächtigen neuen Schlachtschiff und dem Schweren Kreuzer „Prinz Eugen“ besteht, irgendwann auslaufen soll, ist mir dienstlich unter dem Siegel der Verschwiegenheit vor der Reise mitgeteilt worden. Wir haben uns, allein im Abteil, über diese Unternehmung unterhalten: die beiden Offiziere, der kleine Korvettenkapitän, der junge Leutnant der MAA, die beide auf das Schlachtschiff kommandiert sind, und ich. Niemand von uns ahnte, als wir im Zuge, den Blick auf den grünen Wiesen, auf denen gar nicht selten, hellbraun im Frühlingskleid, ein Sprung Rehe äste, die Lage besprachen und Vermutungen über Auslaufsdatum und Kurse tauschten, daß beide Offiziere beim heroischen Endkampf der „Bismarck“, treu ihrem

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Eid, den Einsatz mit dem Leben bezahlen würden. Ich sehe noch, wie auf dem Berliner Bahnhof der Korvettenkapitän mit seiner Frau langsam auf und ab schreitet, ich erinnere mich, daß ich noch dachte, wie schön es ist, von jemandem, den man liebt, an die Bahn gebracht zu werden, wenn es hinausgeht zu irgendeiner Unternehmung, die gewiß ein Zusammentreffen mit dem Gegner, Gefechte und schwierige Lagen bringen kann. Ich danke auch noch im stillen dem Leutnant, der stets hilfsbereit war, wenn man ihn aus dienstlichen Gründen anrief, um eine Frage beantwortet zu erhalten oder eine Auskunft zu erlangen, die er, der das ausgezeichnete kleine Buch: „Neuzeitliche Seekriegsführung“ geschrieben hatte, immer so geduldig und gerne gab. Und dann: als man ängstlich, den Zug nicht zu versäumen, kurz vor der Abreise noch einmal anfragte, da hatte der Leutnant den Dienstwagen vorfahren lassen, hatte selbst mitgeholfen, die schweren Koffer zu tragen.

Unser Thema ist die Seekriegsführung gegen England. Englands Niederringung als Seemacht, das ist das Ziel, das jeder in der Kriegsmarine begriffen hat, dem jeder Einsatz unserer kleinen, kampffrohen Marine gilt. Die Verbindungslinien des Gegners, jene langen, schwer angreifbaren, für die Lebensmittel- und Rohstoffzufuhr, für Truppentransporte und Nachschub so ungeheuer wichtigen Seewege sind die Kraftfelder, die der Engländer mit seinen zahlenmäßig weit überlegenen Flotten zu sichern sucht.

„England,“ meint der Leutnant und beugt sich vor, „geht auch in diesem Kriege von dem Grundsatz der

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Fleet in beeing aus, es will seine Seestreitkräfte möglichst ungeschoren bewahren. Jedenfalls die großen Schiffe. Das zeigt der bisherige Verlauf des Seekriegs ganz deutlich. Wir als schwächere Seemacht haben also die Aufgabe, durch möglichst offensive Seekriegsführung der britischen Flotte stets neue Aufgaben aufzuzwingen.“

„Eigentlich beinahe paradox,“ wirft der Korvettenkapitän ein und streift die Asche seiner Zigarre sorgfältig am Aschbecher ab, „wir als die zur See erheblich Schwächeren müssen den Stärkeren zwingen und – haben das bisher ja auch ganz schön fertiggebracht! Natürlich bedeutet das den Einsatz aller nur irgend verfügbaren Seekriegsmittel unter vollem Risiko. Norwegen, die Unternehmungen der Panzerschiffe, der beiden Schlachtschiffe und des Schweren Kreuzers, unserer Unterseeboote und Hilfskreuzer beweisen die Richtigkeit des Einsatzes durch ihre Erfolge, die sie zum Erstaunen der Engländer und wohl der ganzer Welt, erzielten. Unsere Kampfgruppe läuft zum gleichen Zweck aus. Das ist klar.“

Natürlich ist es klar: der Handelskrieg ist das wesentlichste und erfolgversprechendste, ja fast das einzige Mittel der Seekriegsführung, unser Ziel zu erreichen. Und haben wir nicht bereits große Erfolge erzielt? Sind nicht Über- und Unterwasserstreitkräfte vom Schlachtschiff bis zum Schnellboot und Unterseeboot draußen gewesen, sind sie nicht dauernd am Feind, brechen Lücken in den englischen oder in englischen Diensten stehenden Handelsschiffsraum in sorgfältig geplanten und vorbereiteten, kühn ausgeführten Unternehmungen?

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Wer hätte es bei Beginn des englischen Krieges je für möglich gehalten, daß neben den Unterseebooten die Überwasserstreitkräfte der Kriegsmarine ihre Rohre bei den Faröern, weit draußen vor Narvik, bei Jan Mayen, im freien Atlantik, hoch im Norden auf den Geleitzugstraßen und bei den Azoren, tief im Südatlantik auf den Seewegen, die den Verkehr von Südamerika und aus dem Fernen Osten aufnehmen, sprechen lassen würden?

Eine überlegene Führung bringt jede zu diesem Kampf verwendbare Einheit zum Zuge, mittelbar oder unmittelbar, wie es der Eigenheit der einzelnen Kriegsschiffe, der Lage und den Möglichkeiten des Seekrieges entspricht. Selbstverständliche Voraussetzung zum Erfolg ist das Verlassen der heimischen Gewässer, in denen beispielsweise das Schlachtschiff keinen Beitrag zur Niederringung des Gegners liefern kann. Die Weite des Ozeans, die langdahinrollende, sausende Dünung des Atlantik wird zum Betätigungsfeld unserer Schweren Streitkräfte, eine Möglichkeit, die im Weltkriege 1914/18 der deutschen Flotte verschlossen blieb, die aber jetzt das siegreiche Heer und die mächtige, Tag und Nacht eingesetzte Luftwaffe für die Kriegsmarine öffnen halfen. Wie sagte doch der Eckehart der deutschen Marine, der verstorbene Admiral von Trotha? Er prägte den kurzen Satz, der unsichtbar über den Planungen und Ereignissen dieses Krieges zu stehen scheint: „Das Weltmeer entscheidet über die Geschicke der Völker.“

Durch das Tor, das der Einsatz unserer Waffen weit öffnete, steuern unsere Schweren Streitkräfte zu kühnen

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Unternehmungen in den Atlantik, laufen unsere Hilfskreuzer zum Kampf auf allen Weltmeeren aus den heimischen Stützpunkten. Erfolg über Erfolg zwang die britische Seekriegsleitung sehr bald, den Geleitschutz zu verdoppeln, ihm Schwere Seestreitkräfte, Schlachtschiffe, Schlachtkreuzer, Flugzeugträger und Schwere und Leichte Kreuzer beizugeben, die den mangelhaften Schutz, den Zerstörer und Korvetten, Trawler und Flugboote zu geben imstande waren, wesentlich verstärken sollten. So wurden die auf allen möglichen Brennpunkten der britischen Landkriegführung zum Schutz des Nachschubs angesetzten Flottenteile des Inselreichs noch mehr auseinandergezogen, noch mehr verzettelt, als dies ohnehin schon der Fall war. Das Risiko, dem sich der Kern der britischen Schlachtflotte ähnlich wie im Weltkriege leicht entziehen zu können glaubte, mußte unter dem Druck der deutschen Über- und Unterwasserstreitkräfte, die im Verein mit der Luftwaffe den Atlantik zu einem für englische Geleitzüge höchst gefährlichen Gewässer machten, aufgenommen werden.

Der Traum von der „Fleet in beeing“ [sic] ist für die Engländer ausgeträumt und weicht einen für Besatzungen und Schiffsmaterial unerhört anstrengenden dauernden Dienst auf hoher See.

Kein Fachmann des Auslandes hätte diesen Erfolg, der dem Wagemut und der Kühnheit der Großdeutschen Seekriegsführung und dem vollen Einsatz der unterstellten Seestreitkräfte zu verdanken ist, jemals für möglich gehalten.

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Der Operationsbefehl, den unsere Kampfgruppe auszuführen hat, entspricht den oben erwähnten Grundsätzen. Daß auf „Bismarck“ der Flottenchef selbst, Admiral [Günther] Lütjens, seine Flagge gesetzt hat, erfüllt uns mit besonderem Vertrauen auf den Ausgang der Unternehmung. Näheres wissen wir noch nicht, wir können nur Vermutungen anstellen. Nach dem Auslaufen, das hoffentlich in nicht allzu ferner Zeit stattfindet, werden die Kommandanten, Kapitän z. S. [Ernst] Lindemann auf „Bismarck“ und Kapitän z. S. [Helmuth] Brinkmann auf „Prinz Eugen“ ihren Besatzungen Ziel und Zweck der Fahrt schon bekanntgeben.

Das wissen wir. –

Und nun stehe ich auf der Pier und sehe zum ersten Male diesen Schweren Kreuzer, blicke hinüber, wo, eine Burg aus Stahl, weit vor uns die „Bismarck“ liegt, deren Masten und Aufbauten dunkel und drohend gegen den zartgetönten, in seidenblauen und rosaroten Farben strahlenden Abendhimmel stehen.

Meldung beim Wachhabenden Offizier, der auf das Deck weist:

„Herr Kapitän, wir haben die Decks frisch gemalt und der Rollenoffizier paßt höllisch auf! Sein zweites Wort ist: Zertrampelt mir nicht die Farbe!“

Der junge Leutnant grinst und ich lache ebenfalls: wo und in welcher Kriegsmarine gibt es wohl ein Schiff, bei dem nicht irgend etwas stets neu gemalt ist und auf dem nicht Erster Offizier, Rollenoffizier und Oberbootsmann die Schonung der Farbe geradezu als Lebensaufgabe betrachteten?

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Man ist wieder an Bord, und mit einemmal ist einem nichts mehr neu, alles scheint wohlbekannt, anheimelnd, wundervoll: man ist zu Hause, wie man auf all den Schiffen und Booten zu Hause war, mit denen man zur See fuhr –

In der Kammer sieht man schnell den Weyer, das Taschenbuch der Kriegsflotte nach, vergleicht die Risse mit den Maschinenzeichnungen des Kreuzers, die das Maschinenbüro hilfsbereit auslieh, und geht an Hand der genauen Pläne die einzelnen Decks, ihre Räume und Einrichtungen, die Waffen, Maschinen und all die Einzelheiten durch, aus denen der für den Laien so kompliziert erscheinende Apparat eines hochmodernen Kampfschiffes besteht. Und dies sind die Zahlen und Werte die den Schweren Kreuzer kennzeichnen:

Wasserverdrängung: 10 000 T
Geschwindigkeit: 20 sm

Bewaffnung:
Artillerie: acht 20,3-cm-Geschütze in vier Doppeltürmen, je zwei auf Back und Schanze, zwölf 10,5-cm-Doppelflak, zwölf 3,7-cm-Flak, dazu FlaMG
Torpedo: zwölf 53,3-cm-Torpedoausstoßrohre in je zwei Drillingsrohrsätzen an Oberdeck, an Steuerbord- und Backbordseite

Flugzeuge: drei Aradoflugzeuge
Maschinen: Turbinen
Länge: 195 m
Breite: 21,3 m
Tiefgang: 5,0 m
Baubeginn: 1935
Fertigstellung: 1939
Bauwerft: Germaniawerft, Kiel

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Meine Kammer – eine herrlich große kammer – liegt an Backbordseite achtern, vor ihr steht einer der Drillingsrohrsätze und nich weit vor diesem eine Schwere Flak. Durch die Bulleyes leuchtet an diesem, dem ersten Abend an Bord, ein safrangelber Himmel mit violetten Wolken, eine Farbenpracht, wie sie nur an der Küste und auf See zu finden ist und wie sie jeder Nichtfahrensmann gemalt unbedingt als kitschig empfinden würde. Kriegs- und Handelschiffe liegen an den Piers, graue Unterseeboote kehren von ihren Übungen heim, und hier und dort rauscht ein Marineboot durch das stille Wasser der großen Hafenbecken, die vom Widerschein des Abendhimmels ihr stumpfes Graublau in zartes Gelb und Violett wandelten. Es ist, als sei man nie von Bord gewesen, alles klingt so vertraut: das trappen der Seestiefel auf dem Außendeck, das Klingeln der Telephone und der Pfiff der Bootsmannsmaate, der gerade jetzt langgezogen durch alle Decks gellt:

„Die nächsten Nummern Hafenposten sich klaaaarmachennn!“

Drüben, hinter den Molen, hinter den sanften Höhen, die diesen Hafen nach Norden zu begrenzen, liegt die See, die weite, freie See - -

Klein ist die Kriegsmarine, und so trifft man immer wieder alte Bekannte. Da ist der Maler, der Künstler, der selbst schon viel zur See fuhr, und nun in der Uniform des Sonderführers an Bord kommandiert ist. Norwegen hat er gesehn, in Narvik war er, kennt aus eigener Anschauung den breiten Ofot- und den stillen Rombakenfjord, die Schauplätze der Endkämpfe unserer tapferen

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Zerstörer. An der Flandrischen Küste hat er gestanden, den Blick auf die Kreidefelsen gerichtet, auf denen breit gelagert Old Dover Castle über Stadt und Hafen wacht, über London brauste er mit donnernden Motoren in einem unserer Kampfflugzeuge, sah die Bomben fallen, spürte die Erschütterungen, wenn die Detonationen der englischen Flakgeschosse wie schwarze Tupfen unter dem Zerstörer krachend zerbarsten, beobachtete den grellen Feuerschein, den unsere Bomben unten, mitten in den Hafen-und Werftanlagen der Surreydocks hervorriefen, und hockt nun in seiner Kammer und pinselt, Schüler des großen Slevogt, an bunten Aquarellen, die während der Kaliberschießübungen des Kreuzers entstanden.

Und etwas sehr Schönes ereignet sich beim Abendessen: schräg gegenüber sitzt ein Kapitänleutnant (Ing), der immer wieder lächelnd herübersieht. Wer ist es doch? Den Namen hat man natürlich bei der Vorstellung wie gewöhnlich nicht verstanden, aber das Gesicht, Himmel, das Gesicht kennt man doch? Vergebens kramt man in seinen Erinnerungen, geht die Kommandos durch, sucht und sucht. Als rings die Streichhölzer aufflammen, reicht man seine Zigarettendose hinüber:

„Menschenskind, nun sagen Sie nur, woher kennen wir uns bloß?“

Der blonde Kapitänleutnant lacht:

„Von der Küstenwehr, Herr Kapitän, da bin ich Herrn Kapitäns Aufklarer gewesen!“

Richtig! Die Küstenwehr, jetzt: Marineartillerieabteilung! Und plötzlich fällt einem auch der Name wieder ein:

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„Das ist ja großartig! Wie fein, daß wir nun wieder zusammen fahren, das müssen wir nachher aber begießen, und Sie müssen mir erzählen, wo Sie inzwischen waren, ja?“

„Und was macht der Ulf?“

„Mein Sohn? Ja, der ist bei der Nachrichtentruppe und schimpft Mord und Brand, weil sie immer noch in der Heimat sitzen.“

Ein Bild taucht auf: der große kluge damalige Oberheizer, wie er den Kleinen, der seine dicke Hand zutraulich um den langen Zeigefinger des Feldgrauen geklammert hat, durch die Straßen von Wilhelmshaven führt –

Es ist immer wieder überraschend zu erkennen, was für eine unheimliche Kraft in einem Kriegsschiff auf engstem Raum versammelt werden kann. Ein Gang über Deck, durch die unteren Räume, ein einziger Tag zeigt auch dem Fachmann immer wieder Neues, Erstaunliches und läßt ahnen, welche Wucht z. B. dieser Schwere Kreuzer beim Angriff zu entfalten imstande ist. Auffallend ist die Häufung der Flugzeugabwehrwaffen, der Schweren und Leichten Flageschütze, der Flamaschinenwaffen und MG, die überall ihre schlanken Rohre zwischen Aufbauten, auf den Außendecks und überall dort, wo nur irgend Platz für eine Waffe und ihre Bedienung ist, in die Luft recken.

Wie mag es erst auf dem Schlachtschiff aussehen, auf „Bismarck“, die vor dem kleineren Hilfsschiff, das vor uns festgemacht hat, an der schier endlosen Pier liegt? Von unserer Vormarsgalerie sieht man die oberen

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Aufbauten, massig um Schornstein und Masten geschart, entdeckt die unzähligen überschlanken Rohre der Flawaffen und den mächtigen Berg der verschiedenen Aufbaudecks, Scheinwerfer und Brücken, die wie eine dunkeldrohende, riesengroße Pyramide über den Schweren Türmen der achteren Turmgruppe aufragt. Winzig scheint daneben die Flagge des Flottenchefs, die weiße Admiralsflagge mit dem schmalen schwarzen Kreuz, die wie ein heller Punkt über dieser geballten Kraft, diesem ungeheuren Bau aus Stahl und Eisen aus Waffen und Maschinen im Winde weht.

Immer ist Betrieb auf unserem Kreuzer. Die Bedienungen der Türme der Schweren Artillerie, die Mannschaften an den Drillingsrohrsätzen der Torpedowaffe exerzieren, das Maschinenpersonal macht Sport, ein Arbeitskommando löscht Proviant aus den Lastwagen, die, in Reihe vor dem Kreuzer aufgefahren, Fleisch, Kartoffeln, Mehl und Brot, Gemüse, Konserven, Würste und Eier heranschleppten. Andere Männer stehen an Deck, den Pinsel in der Hand und pöhnen, wie der Seemann das Malen nennt, oder hängen in Bootsmannsstühlen unter den Nocken der Brücken, die Tarnbemalung zu erneuern, die rings alles in buntscheckigen Farbklaxen und Streifen zebraartig überzieht.

Der Erste Artillerieoffizier, ein Korvettenkapitän [Paulus Jasper], breit und stämming, die längst verblaßte Bordmütze schief überm rechten Ohr, die lustigen blauen Augen überall, geht an den Backbordrohrsätzen vorbei übers Mitteldeck nach vorn. Gerade schwenken die schweren Rohre, wir springen zur Seite und der A.O. lacht:

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„Ich war mal auf der guten alten ‚Hessen’ als II.A.O., da -“

„Auf “ ‚Hessen’? Da bin ich auch mal zwo A.O. gewesen,“ werfe ich ein.

„So? Na, das muß vor meiner Zeit gewesen sein. Also da exerzierte auch die Torpedowaffe mit ihren Rohren. Ein Mann, der mit seiner Pütz herumstand und nicht aufpaßte, wurde glatt herausgedrückt und hielt sich eine Weile mit einer Hand an einem der Griffe fest. Die Pütz wollte der Brave doch nicht fahren lassen, wissen Sie! Schließlich konnte er sich nicht mehr halten und plumpste ins Aquarium, worauf prompt natürlich ‚Mann über Bord’ gegeben wurde. Ziemlich kalt war’s, und der Backbordkutter kam auch schnell runter, der Steuerbordkutter war irgendwie unklar und konnte nicht ausgesetzt werden. Wie das nun so ist, wenn mal ein Kuttermanöver im Ernst möglichst schnell ausgeführt werden muß: das Boot kam nicht zu Wasser, denn es setzte sich auf die ebenfalls ausgeschwenkten Rohre der Kasemattgeschütze der Mittelartillerie auf. Feiner Zustand, kann ich Ihnen sagen! Ein Offizier drückte irgend jemand, der neben ihm stand, schnell Uhr und Jackett in die Hand und jumpte hinterdrein. Inzwischen hat der Mann prustend und schnaubend doch noch die sofort geworfene rote Rettungsboje zu fassen gekriegt. Sie schimpften fein, die beiden, als sie pudelnaß und völlig blau vor Kälte wieder an Bord kamen! Seitdem weiche ich den Rohren der Torpedowaffe stets sorgfältigst aus! Sind mir zu gefährlich!“

„Waren Sie nachgejumpt?“ frage ich.

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„Nee, mein Lieber, das war Ihr Crewkamerad, der General Ritter von der Luftwaffe.“

„Fixer Kerl!“ sage ich, „alter Seeflieger. Hat auch irgendwann in der Systemzeit mal einen der internationalen Preise für Deutschland reingeholt.“

Wir klettern zum Vormarsstand, von wo eine Feuerleitungsübung die gesamte Artillerie und ihre Befehlsübermittler zusammenfassen und üben soll. I.A.O., II.A.O. und Flaeinsatzleiter geben ihre Befehle, die B.Ü.’s wiederholen, und unten, tief unter uns an Deck schwenken die Türme und Geschütze, heben sich die Rohre und richten sich auf die Ziele, die von den Offizieren angegeben, den Gegner darzustellen haben. Ziele sind genug vorhanden: einlaufende Unterseeboote, Dampfer, die ahnungslos draußen herumfahren oder an den Molen liegen, Flugzeuge, die überall im stahlblauen Himmel herumburren, und fern, draußen auf Reede sogar ein mächtiges Schlachtschiff, das weiß in der Sonne leuchtend, zu Übungen herumkreuzt.

Am liebsten nimmt der A.O. die Dampfer zum Ziel:

„Mensch, Dampfer woll’n wir knacken draußen, nichts wie Dampfer! Fette Brocken, Tanker und große Happen, nicht so’n Krimskrams wie diesen Kleinen hier, den die achtere Gruppe gerade befunkt! Stellen Sie sich vor, wenn wir irgendwo draußen so’nen richtigen Geleitzug aufpicken und dazwischenhauen können! Wie die andern das schon des öfteren gemacht haben. Der große Bruder hält uns die Kriegsschiffe vom Leibe, und wir brausen an den Linien längs, feuern aus allen Rohren und erledigen einen nach dem andern!“

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Immer wieder kommt das Gespräch, das in den kurzen „Gefechtspausen“ geführt wird, auf die seit langem so heiß ersehnte Unternehmung, von der aber alle im Schiff vom Ersten Offizier bis zum jüngsten Rekruten der Laufbahn. II ahnen, daß sie bald, sehr bald ausgeführt werden wird.

Wo unser Operationsgebiet liegen wird und was wir wohl antreffen draußen auf dem weiten Atlantik, ist unser Gesprächsthema. Wie wir angreifen werden und was wir tun wollen, wenn diese Geleitzüge, auf die wir hoffen, von Schweren Seestreitkräften gesichert sind. Das war in letzter Zeit fast regelmäßig der Fall, nachdem unsere Vorgänger gehörig aufgeräumt haben mit dem englischen Handelsschiffsraum. Alles dies wird besprochen, dazu der Einsatz der verschiedenen Turmgruppen, der Schweren Flak un der Flawaffen auf die einzelnen Dampfer, auf Begleitzerstörer, Korvetten und Bewacher.

Die Unternehmung, die Fahrt in den freien Ozean, das ist es, was jedermann an Bord beschäftigt. Keinem kommt auch nur im entferntesten der Gedanke, daß die Engländer etwa überlegene Streitkräfte draußen haben könnten, oder besser: daß wir, die Kampfgruppe „Bismarck“, irgend jemanden zu fürchten brauchten. Wir sind jedem gewachsen, stärker, schneller und besser geführt als irgendein noch so gut zusammengesetzter englischer Kampfverband.

Das steht eisern fest, das ist die Überzeugung jedes einzelnen Mannes an Bord, daran ist nicht zu rütteln!

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Ich nehme das Glas von den Augen, mit dem ich die „Tirpitz“, Schwesterschiff der „Bismarck“, beobachtet habe, und sehe den I.A.O. an:

„Wir reden hier von der bevorstehenden Unternehmung und ich habe beinahe eine Zigarre bekommen, als ich mich beim Ersten Offizier als zur Unternehmung an Bord kommandiert meldete. Der fiel fast in Ohnmacht, der Gute! Um Gotteswillen, wie können Sie usw. usw. Na, ich meldete, daß ich doch tatsächlich dazu an Bord kommandiert sei – gottseidank! Er meinte, das wüßte an Bord doch niemand und sollte es auch nicht wissen, und ich dürfte um keinen Preis etwas derartiges sagen. Ich habe natürlich ‚Papier gemacht’ und geschwiegen. Aber wenn hier alle davon reden und darauf warten, na – dann ist es ja wohl wirklich bald so weit.“

Der Korvettenkapitän schüttelt den Kopf und schlägt mit der dick behandschuhten Faust auf die umgebörtelte Eisenreling:

„Ach wo, wir wissen von nichts! Wir wissen auch dann noch von nichts, wenn wir etwa auslaufen. Bestenfalls kriegen wir’s gesagt, wenn die erste Salve rausraucht! So ungefähr ist es ja wohl und -“

„Ist es immer gewesen, schon im Weltkrieg, Mann! Ist ja auch nötig, wegen der Geheimhaltung, weiß der Teufel. Daß natürlich auch ohne Bekanntgabe jeder Soldat an Bord merkt, wenn etwas anliegt, das ist sonnenklar. Man kann ja auch so etwas nur selten ganz verschleiern. Denken Sie an den bestellten Omnibus für den Offiziersausflug nach Butjadingen oder so, als die ‚Hipper’ zur Norwegenaktion auslief! Der steht

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wahrscheinlich noch an der Pier in Wilhelmshaven! Und diesen Ausflug haben die Engländer ja tatsächlich erst spitzgekriegt, als ihre Bomber den Kampfverband der Schlachtschiffe und des Schweren Kreuzers und die Zerstörer in der Nordsee zufällig trafen. Nein, das mit der Geheimhaltung ist schon richtig so!“

„Natürlich!“ stimmt der A.O. zu. „Bloß ist es ein bißchen komisch, wenn ausgerechnet an Bord so getan wird, als käme nichts dergleichen jemals für uns in Frage. Aber auch das ist bestimmt richtig, zumal ja auch die Männer dauernd ihren Landurlaub bekommen. So, nun woll’n wir mal wieder: Vordere Turmgruppe Richtung 270 Grad auf den Dampfer mit zwo Schornsteinen und drei Masten - “

Als wir nach Beendigung des Gefechtsdienstes hinuntersteigen, läuft gerade ein Unterseeboot mit langsamer Fahrt ein. Möwen streichen dicht über dem Heck des niedrigen, langen Bootes dahin, über den nahen Hügeln färbt sich der Himmel im Widerschein der untergehenden Sonne mit einem starken tiefen Rot, das noch lange unter den graublauen Wolkenschatten steht und in dem jede Einzelheit der die Höhen krönenden Häuser scharf und dunkel wie ein kunstvoller, vielzackiger Scherenschnitt sich abhebt.

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Prinz Eugen

SCHWERER KREUZER »PRINZ EUGEN«
Foto: Urbahns, Kiel

Wasserverdrängung: 10 000 T
Geschwindigkeit: 32 sm

Bewaffnung:
Artillerie: acht 20,3-cm-Geschütze in vier Doppeltürmen, je zwei auf Back und Schanze, zwölf 10,5-cm-Doppelflak, zwölf 3,7-cm-Flak, dazu FlaMG
Torpedo: zwölf 53,3-cm-Torpedoausstoßrohre in je zwei Drillingsrohrsätzen an Oberdeck, an Steuerbord- und Backbordseite

Flugzeuge: drei Aradoflugzeuge
Maschinen: Turbinen
Länge: 199 m
Breite: 21,7 m
Tiefgang: 4,6 m
Baubeginn: 1936
Fertigstellung: 1940
Bauwerft: Germaniawerft Kiel


Helmuth Brinkmann
Der Kommandant. Kapitän zur See [Helmuth] Brinkmann, am Kartentisch im Stand. (Rechts über dem Tisch: Sprachrohr zur Brücke. Rechts oben: rotierende Scheibe, die bei Regen, Schneetreiben usw. die Glasscheibe durchsichtig hält). Foto: PK-Lagemann




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